Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
geschlossenen Augen am Ufer.
    »Wir gehen hier raus«, sagte sie leise zu ihm. »Grillo, hast du mich gehört? Wir gehen hier raus.«
    »Tot«, sagte er.
    »Nein«, sagte sie zu ihm. »Wir werden überleben.« Sie schob den Arm unter seinen, und die Schmerzen in der Seite pieksten sie mit jeder Bewegung, die sie machte. »Steh auf, Grillo. Ich friere, und es wird bald wieder dunkel.« Tatsächlich wurde es sogar pechschwarz; das Leuchten des verfallenen Teratas wurde immer schwächer. »Oben ist die Sonne, Grillo.
    Wärme. Licht.«
    Als er ihre Worte hörte, machte er die Augen auf.
    »Witt ist tot«, sagte er.
    Die Wellen des Wasserfalls hatten den Leichnam ans Ufer gespült.
    »Wir werden sein Schicksal nicht teilen«, sagte Tesla. »Wir werden überleben. Also setz deinen Arsch in Bewegung und steh auf.«
    »Wir... können nicht... hinauf schwimmen...«, sagte er und sah den Wasserfall an.
    »Es gibt andere Wege hinaus«, sagte Tesla. »Leichtere Wege. Aber wir müssen uns beeilen.«
    Sie sah durch die Höhle, wo Jaffe die Risse in den
    690
    Felswänden untersuchte und, so vermutete sie, nach dem besten Ausgang suchte. Er war in ebenso schlechter
    Verfassung wie sie alle, und eine anstrengende Kletterpartie kam nicht in Frage. Sie sah, wie er Hotchkiss zu sich rief und ihm befahl, Geröll wegzuschaffen. Dann machte er sich daran, andere Löcher auszuheben. Tesla ging durch den Kopf, daß der Mann ebensowenig Ahnung hatte, wie sie hier herauskommen konnten, wie sie selbst, aber sie lenkte sich von dieser Befürchtung ab, indem sie sich wieder der Aufgabe zuwandte, Grillo auf die Füße zu bekommen. Es war noch etwas gutes Zureden erforderlich, aber schließlich gelang es ihr. Er stand auf, und die Beine gaben fast unter ihm nach, bis er wieder ein wenig Leben in diese hineingerieben hatte.
    »Gut«, sagte sie. »Gut. Und jetzt laß uns gehen.«
    Sie sah Witts Leichnam ein letztes Mal an und hoffte, wo immer er war, es würde ein schöner Ort sein. Wenn jeder seinen eigenen Himmel bekam, dann wußte sie, wo Witt jetzt war: in einem himmlischen Palomo Grove; einer kleinen, sicheren Stadt in einem kleinen, sicheren Tal, wo die Sonne immer schien und das Grundstücksgeschäft einträglich war. Sie wünschte ihm stumm alles Gute, wandte sich wieder ab, drehte seinen sterblichen Überresten den Rücken zu und fragte sich, ob er die ganze Zeit gewußt hatte, daß er heute sterben würde, und glücklicher war, Teil des Fundaments des Grove zu sein, als im Rauch eines Krematoriums vergeudet zu werden.
    Hotchkiss war von seinen Geröllarbeiten an einem Riß ab-kommandiert worden, um dieselbe Aufgabe an einem anderen durchzuführen, was Teslas unerwünschten Argwohn, daß der Jaff auch nicht wußte, wie man hier herauskam, neue Nahrung verlieh. Sie kam Hotchkiss zu Hilfe und riß Grillo aus seiner Lethargie, damit er ebenfalls mithalf. Die Luft aus dem Loch schmeckte abgestanden. Kein frischer Atem von oben kam herunter. Aber vielleicht waren sie dafür zu tief.
    Die Arbeit war hart und wurde in der zunehmenden Dunkel-691
    heit noch härter. Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben einem völligen Zusammenbruch noch nie so nahe gefühlt. Sie hatte überhaupt keinerlei Gefühl mehr in den Händen; ihr Gesicht war taub geworden, der Körper träge. Sie war sicher, daß die meisten Leichen wärmer waren. Aber vor einem ganzen
    Zeitalter, oben in der Sonne, hatte sie Hotchkiss gesagt, daß sie so gut wie jeder Mann war, und sie war verbissen entschlossen zu beweisen, daß diese Behauptung zutreffend war. Sie verlangte sich das Äußerste ab und machte sich so fest wie er über die Felsen her. Grillo tat den Großteil der Arbeit; sein Eifer wurde zweifellos von Verzweiflung genährt. Er räumte die größten Felsbrocken mit einer Kraft weg, die sie ihm überhaupt nicht zugetraut hätte.
    »Gut«, sagte sie zu Jaffe. »Gehen wir?«
    »Ja.«
    »Ist das der Weg hinaus?«
    »Er ist so gut wie jeder andere«, sagte er und übernahm die Führung.
    Es begann ein Aufstieg, der auf seine Weise schrecklicher als der Abstieg war. Zunächst einmal hatten sie nur eine einzige Fackel zur Verfügung, die Hotchkiss trug, der nach Jaffe kam. Die Fackel war schmerzlich unzureichend, ihr Leuchten mehr ein Signal, dem Tesla und Grillo folgen konnten, als ein Mittel, den Pfad zu erhellen. Sie stolperten und fielen und stolperten wieder, und in gewisser Weise waren sie froh darum, daß sie nichts mehr spürten, weil dadurch die Erkenntnis, welche

Weitere Kostenlose Bücher