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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Sonne ist es einerlei, was Sie getan haben. Sie scheint auf alle, Gute und Böse. Ich wünschte mir manchmal, es wäre anders, aber es ist so.«
    Er nickte. »Habe ich Ihnen je...«, sagte er, »... von Omaha er-zählt?«
    »Keine Hinhaltemanöver, Jaffe. Wir gehen hinauf.«
    »Ich sterbe«, sagte er.
    »Dann haben Ihre Sorgen alle ein Ende, oder nicht?« sagte sie. »Kommen Sie schon.«
    Er sah sie durchdringend an, und der Glanz, den sie in der Höhle in seinen Augen gesehen hatte, war vollkommen verschwunden. Tatsächlich hatte er nichts an sich, das auf seine übernatürlichen Fähigkeiten hindeutete. Er war durch und durch unscheinbar: eine graue, kaputte Menschenhülle, die sie auf der Straße keines zweiten Blickes gewürdigt hätte, es sei denn, um sich zu fragen, was für eine Tragödie ihn derart ins Elend gestürzt hatte. Sie hatten viel Zeit, Anstrengung - und Witts Leben - geopfert, um ihn aus der Erde zu holen. Er sah nicht aus, als wäre er der Mühe wert gewesen. Er senkte den Kopf vor dem Leuchten und erklomm die letzten paar Schritte in die Sonne. Sie folgte ihm, und das Licht wurde schwindel-, beinahe übelkeiterregend. Sie machte die Augen zu, bis Gelächter sie bewegte, sie wieder zu öffnen.
    Mehr als Erleichterung brachte Hotchkiss und Grillo zum Kichern. Die Route hatte sie mitten auf den Parkplatz des 695
    Terrace Motel geführt.
    »Willkommen in Palomo Grove«, stand auf dem Schild.
    »Dem blühenden Hafen.«
    696
    VI

    Wie Carolyn Hotchkiss ihren drei besten Freundinnen vor so vielen Jahren immer wieder ins Gedächtnis gerufen hatte - die Erdrinde war dünn, und der Grove war auf einer fehlerhaften Stelle in dieser Rinde erbaut worden, die eines Tages durchbrechen und die ganze Stadt in den Abgrund reißen würde. In den zwei Jahrzehnten, seit sie ihre Prophezeiungen mit
    Schlaftabletten zum Schweigen gebracht hatte, war die Technologie, diesen Augenblick vorherzusagen, deutlich verbessert worden. Man konnte haarfeine Risse
    kartographieren und ihre Aktivitäten genauestens überwachen.
    Im Falle eines großen Erdbebens würden die Warnungen
    hoffentlich schnell genug eintreffen, um das Leben von Millionen zu retten, und zwar nicht nur in San Francisco und Los Angeles, sondern auch in kleineren Gemeinden wie dem Grove. Aber kein Monitor oder Kartograph hätte die Schnelligkeit der Ereignisse oben in Coney Eye vorhersagen können oder das Ausmaß ihrer Konsequenzen. Die Verzerrung im Inneren des Vanceschen Hauses hatte eine subtile, aber unmißverständliche Botschaft in den Hügel gesandt und von dort aus durch die Höhlen und Tunnel unter der Stadt, und diese Botschaft brachte ein System, das seit Jahren murmelte, schließlich, dazu, brüllend aufzuschreien. Die spektakulärsten Folgen dieses Aufstands ereigneten sich in den unteren Abschnitten des Hügels, wo sich der Boden auftat, als wäre tatsächlich das große Beben auf dem Weg, und eine der Crescent-Straßen in einen zweihundert Meter langen und zwanzig Meter breiten Riß hinabzog; auch sämtliche
    umliegenden Gemeinden trugen Schaden davon. Die
    Zerstörung hörte auch nicht nach der ersten Schockwelle auf, wie man bei einem konventionellen Erdbeben erwarten konnte.
    Sie eskalierte; die Botschaft der Anarchie wurde verbreitet, unbedeutende Senkungen wurden so gewaltig, daß sie Häuser, 697
    Garagen, Gehwege und Geschäfte verschlangen. In Deerdell mußten die nahe am Wald gelegenen Straßen als erste unter den Auswirkungen leiden. Die wenigen Einwohner, die noch geblieben waren, wurden durch einen Massenexodus von
    Tieren vor der kommenden Katastrophe gewarnt, die flohen, bevor die Bäume versuchten, die Wurzeln aus dem Boden zu ziehen und ihnen zu folgen. Weil den Bäumen das nicht gelang, stürzten sie um. Die Häuser folgten kurz danach, Straße für Straße kippten sie um wie Dominosteine. Stillbrook und Laureltree trugen ähnlich gravierende Schäden davon, aber ohne Vorwarnung oder erkennbares Muster. Risse taten sich unvermittelt in Straßen und Gärten auf. Innerhalb von Sekunden floß das Wasser aus Swimmingpools ab; Einfahrten verwandelten sich in Modelle des Grand Canyon. Aber ob zufällig oder systematisch, plötzlich oder mit Vorankündigung, letztendlich lief es in jedem Ortsteil auf dasselbe hinaus. Der Grove wurde von dem Boden verschluckt, auf dem er erbaut worden war.
    Es gab natürlich Tote; viele Tote. Aber sie blieben
    größtenteils unbemerkt, weil es sich um Menschen handelte, die sich seit Tagen in ihren

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