Jenseits des Bösen
Westküste auftun und eine Menge verschlingen konnten. Sie hielt ihre Ängste im Zaum, indem sie sich selbst verschlang: eine Art beschwörender Zauber. Sie war dick, weil die Erdrinde dünn war; eine umwerfende Entschuldigung für Gefräßigkeit.
Arleen sah zu der Dicken hinüber. Es konnte nicht schaden, hatte ihr ihre Mutter einmal beigebracht, wenn man sich in Gesellschaft von weniger Attraktiven aufhielt. Obwohl sie nicht mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand, umgab sich der einstige Star Kate Farrell immer noch mit durchschnittlichen Frauen, in deren Gesellschaft sie selbst doppelt so gut aussah.
Arleen fand, daß das, besonders an Tagen wie heute, ein zu hoher Preis war. Obwohl sie ihrem eigenen Äußeren
schmeichelten, konnte sie ihre Gefährtinnen eigentlich nicht leiden. Früher hätte sie sie als ihre engsten Freundinnen bezeichnet. Heute waren sie Erinnerungen an ein Leben, dem sie gar nicht schnell genug entkommen konnte. Doch wie sollte sie die Zeit sonst herumbringen, bis sie an der Reihe war?
Sogar das Vergnügen, vor einem Spiegel zu sitzen, wurde mit der Zeit schal. Je schneller ich von hier weg bin, dachte sie, desto schneller werde ich glücklich sein.
Hätte Joyce Arleens Gedanken lesen können, hätte sie beifällig auf deren Eile geblickt. Aber sie dachte nur daran, wie sie 81
am besten ein zufälliges Zusammentreffen mit Randy einfädeln konnte. Wenn sie eine beiläufige Frage nach seinen
Gewohnheiten stellte, würde Arleen ihre Absicht erraten; und sie war vielleicht egoistisch genug, daß sie Joyce' Chancen zunichte machte, obwohl sie selbst sich nicht für den Jungen interessierte. Joyce konnte einen Charakter gut deuten und wußte genau, daß es Arleen möglich war, so pervers zu sein.
Aber stand es ihr an, Perversion zu verteufeln? Sie war hinter einem Mann her, der ihr schon dreimal deutlich gezeigt hatte, wie gleichgültig sie ihm war. Warum konnte sie ihn nicht einfach vergessen und sich den Kummer, abgewiesen zu
werden, ersparen? Weil Liebe eben nicht so war. Sie trieb einen dazu, den Beweisen zu trotzen, wie stichhaltig sie auch immer sein mochten. Sie seufzte hörbar.
»Stimmt was nicht?« wollte Carolyn wissen.
»Nur... heiß«, antwortete Joyce.
»Kennen wir ihn?« fragte Trudi. Bevor sich Joyce eine angemessen zurechtweisende Antwort überlegt hatte, sah sie vor sich zwischen den Bäumen etwas glitzern.
»Wasser«, sagte sie.
Carolyn hatte es auch gesehen. Es glitzerte so hell, daß sie die Augen zukneifen mußte.
»Jede Menge«, sagte sie.
»Ich wußte gar nicht, daß hier ein See ist«, bemerkte Joyce, die sich an Trudi wandte.
»Hier war auch keiner«, lautete die Antwort. »Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.«
»Jetzt ist aber einer da«, sagte Carolyn.
Sie stapfte bereits durch das Dickicht, weil sie nicht so geduldig war, den Weg zu nehmen, und walzte so einen Pfad für die anderen.
»Sieht so aus, als würden wir doch noch eine Abkühlung bekommen«, sagte Trudi und lief hinter ihr her.
Es war tatsächlich ein See, etwa hundertfünfzig Meter im 82
Durchmesser, dessen glatte Oberfläche von halb versunkenen Bäumen und Inseln aus Gestrüpp unterbrochen wurde.
»Regenwasser«, sagte Carolyn. »Wir sind hier direkt am Fuß des Hügels. Es muß sich nach dem Sturm gesammelt haben.«
»Eine Menge Wasser«, sagte Joyce. »Ist das alles letzte Nacht gefallen?«
»Wenn nicht, woher sollte es dann kommen?« sagte Carolyn.
»Ist doch egal«, meinte Trudi. »Sieht erfrischend aus.«
Sie ging an Carolyn vorbei direkt ans Wasser. Mit jedem Schritt wurde der Boden feuchter, und der Schlamm stieg bis über ihre Sandalen. Aber als sie beim Wasser war, hielt es voll und ganz, was es versprochen hatte: Es war erfrischend kühl.
Sie kauerte sich nieder und streckte eine Hand ins Wasser, um sich etwas ins Gesicht zu spritzen.
»Das würde ich nicht tun«, mahnte Carolyn. »Es ist wahrscheinlich voller Chemikalien.«
»Es ist Regenwasser«, antwortete Trudi. »Was sollte denn sauberer sein?«
Carolyn zuckte die Achseln. »Dann bedien dich«, sagte sie.
»Wie tief es wohl ist?« überlegte Joyce. »So tief, daß man schwimmen kann, was meint ihr?«
»Glaube ich kaum«, bemerkte Carolyn.
»Kommt auf den Versuch an«, meinte Trudi und watete in den See. Sie konnte ertrunkenes Gras und Blumen unter den Füßen sehen. Der Boden war weich, ihre Füße wirbelten Schlammwolken auf, aber sie ging weiter, bis sie so tief war, daß der Saum ihrer
Weitere Kostenlose Bücher