Jenseits des Bösen
zu.
»Was hast du gesagt?« rief Joyce zurück und hörte auf zu rudern, damit sie besser hören konnte.
Trudi lachte. »Warm!« sagte sie und spritzte um sich. »Es ist warm hier draußen!«
»Machst du Witze?«
»Komm doch selber her!« antwortete Trudi.
Joyce schickte sich an, dorthin zu schwimmen, wo Trudi wassertretend verweilte, aber ihre Freundin wandte sich bereits von ihr ab und folgte dem Ruf der Wärme. Joyce konnte nicht anders, sie mußte sich zu Arleen umdrehen. Sie hatte sich endlich herabgelassen, unter den Schwimmenden zu weilen, und war ins Wasser geschritten, bis ihr langes Haar wie ein goldener Kragen um ihren Hals gebreitet war; dann schwamm sie mit bedächtigen Bewegungen zur Mitte des Sees. Joyce 88
empfand beinahe so etwas wie Angst angesichts von Arleens Nähe. Sie wollte Gesellschaft, die sie ablenkte.
»Carolyn!« rief sie. »Kommst du?«
Carolyn schüttelte den Kopf.
»Hier draußen ist es wärmer«, versprach Joyce.
»Das glaube ich nicht.«
»Wirklich!« rief Trudi. »Es ist herrlich!«
Carolyn schien aufzugeben und plätscherte in Trudis
Kielwasser dahin.
Trudi schwamm ein paar Meter weiter. Das Wasser wurde nicht wärmer, aber dafür lebhafter; es blubberte um sie herum wie ein Whirlpool. Plötzlich verlor sie die Nerven und versuchte, Boden zu ertasten, aber es war kein Grund mehr da.
Wenige Meter hinter ihr war das Wasser höchstens eineinhalb Meter tief gewesen; jetzt streiften ihre Zehen nicht einmal mehr über festen Boden. Der Boden mußte ziemlich genau an der Stelle steil abfallen, wo die warme Strömung herkam.
Durch die Tatsache ermutigt, daß drei Schwimmstöße sie wieder in sichere Gefilde bringen würden, tauchte sie den Kopf unter Wasser.
Sie sah zwar auf die Ferne schlecht, aber ihre Nahsicht war hervorragend, und das Wasser war klar. Sie konnte an ihrem Körper hinabsehen bis zu den tretenden Füßen. Unter ihnen un-durchdringliche Dunkelheit. Der Boden war einfach
verschwunden. Sie keuchte erschrocken. Wasser drang ihr in die Nase. Sie schnellte hustend und um sich schlagend nach oben, um Luft zu holen.
Joyce rief ihr etwas zu.
»Trudi! Was ist denn los? Trudi?«
Sie versuchte, ein paar warnende Worte herauszubekommen, aber urgewaltige Panik hatte sie ergriffen; sie konnte sich nur in Richtung Ufer werfen, doch ihre Panik wirbelte das Wasser lediglich zu frischem, erstickendem Tosen auf. Dunkelheit da unten, und etwas Warmes, das nur darauf wartet, mich nach 89
unten zu ziehen.
William Witt sah in seinem Versteck am Ufer, wie sich das Mädchen abmühte. Angesichts ihrer Panik verschwand seine Erektion. Draußen auf dem See ging etwas Seltsames vor sich.
Er konnte Spitzen an der Wasseroberfläche sehen, die Trudi Katz umkreisten wie kaum untergetauchte Fische. Einige lösten sich und schwammen auf die anderen Mädchen zu. Er wagte nicht, einen Ruf auszustoßen. Wenn er das tat, würden sie wissen, daß er ihnen nachspioniert hatte. Er konnte nichts anderes machen, als mit wachsender Bestürzung die
Geschehnisse im See zu beobachten.
Joyce spürte die Wärme als nächste. Sie lief über ihre Haut und in ihr Inneres, wo sie die Eingeweide wie ein Schluck Weihnachtsbrandy überzog. Das Gefühl lenkte sie von Trudis Rudern und der Gefahr ab, in der sie selbst sich befand. Sie beobachtete die Spitzen im Wasser, die Blasen, die rings um sie herum langsam und zäh an die Oberfläche stiegen, wie Lava, seltsam unbeteiligt. Auch als sie den Boden ertasten wollte und es ihr nicht gelang, dachte sie nur nebensächlich ans Ertrinken. Es gab wichtigere Empfindungen. Erstens, daß die Luft aus den Blasen um sie herum der Atem des Sees waren, und wenn sie sie einatmete, war das, als würde sie den See küssen. Zweitens, daß Arleen gleich hier sein würde, mit ihrem Kragen goldener Haare, die um sie herum im Wasser
schwammen. Sie erlag der Verführung des warmen Wassers und gestattete sich die Gedanken, denen sie noch vor wenigen Augenblicken den Rücken gekehrt hatte. Sie waren beide hier, sie und Arleen, vom selben herrlichen Wasser umhüllt, und kamen einander immer näher, während das Element zwischen ihnen die Echos ihrer Bewegungen hin und her trug. Vielleicht würden sie sich in dem Wasser auflösen und ihre Körper flüssig werden, bis sie im See verschmolzen. Sie und Arleen, eine Mischung, frei vom Zwang, sich zu schämen; jenseits von Sex in wonniglicher Einsamkeit.
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Diese Möglichkeit war so erlesen, daß sie keinen Augenblick mehr
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