Jenseits des Bösen
mochte.
Lügner; er dachte überhaupt nicht an den Tag. An Jo-Beth; nur an Jo-Beth. Ihre Augen, ihr Lächeln, ihre Stimme, ihre Haut, ihr Geruch, ihre Geheimnisse. Er betrachtete den Himmel und sah sie, und war besessen.
Für ihn war es das erstemal. Er hatte noch nie so heftige Empfindungen gehabt wie die, von denen er jetzt besessen war.
Er war zweimal in der Nacht schweißgebadet aufgewacht. Er konnte sich nicht an die Träume erinnern, die dafür verantwortlich waren, aber sie kam ganz sicher darin vor. Wie konnte es anders sein? Er mußte sie finden. Jede Stunde, die er ohne ihre Gesellschaft verbrachte, war vergeudet; wenn er sie nicht sah, war er blind, wenn er sie nicht berühren konnte, ohne Gefühl.
Als sie sich gestern abend verabschiedet hatten, hatte sie ihm gesagt, daß sie abends im Butrick's arbeitete und tagsüber in einer Buchhandlung. Bei der Größe des Einkaufszentrums dürfte es ihm eigentlich nicht so schwerfallen, ihren Arbeitsplatz zu finden. Er kaufte eine Tüte Krapfen, um das Loch zu stopfen, das entstanden war, weil er gestern abend nichts gegessen hatte. An das andere Loch, das auszufüllen er hergekommen war, dachte er überhaupt nicht. Er schlenderte an den Geschäften entlang und suchte nach ihrem Laden. Er fand ihn zwischen einem Hundesalon und einem Maklerbüro. Wie viele umliegende Geschäfte, war auch er noch geschlossen; auf einem Schild an der Tür stand, daß es noch eine
152
Dreiviertelstunde dauern würde, bis geöffnet wurde.
Er setzte sich ins Sonnenlicht, das immer wärmer wurde, aß und wartete.
Kaum hatte sie die Augen geöffnet, sagten alle ihre Instinkte ihr, sie sollte die Arbeit sausen lassen und Howie suchen. Die Ereignisse der vergangenen Nacht waren immer wieder durch ihre Träume gespukt und hatten sich dabei ständig subtil ver-
ändert, als wären sie alternative Wirklichkeiten, einige wenige aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten, die derselben Begegnung entsprangen. Sie konnte sich aber unter allen Möglichkeiten keine vorstellen, in der er nicht vorkam. Er war dagewesen und hatte von ihrem ersten Atemzug an auf sie gewartet; das wußten ihre Zellen mit Bestimmtheit. Sie und Howie gehörten auf eine unzweifelhafte Weise zueinander.
Sie wußte genau, hätte eine ihrer Freundinnen derlei Rühr-seligkeiten von sich gegeben, hätte sie selbst sie als lächerlich abgetan. Was nicht heißen sollte, daß sie nicht schon Tränen vergossen und das Radio lauter gestellt hatte, wenn ein bestimmtes Liebeslied gespielt wurde. Doch ihr war schon beim Zuhören klar gewesen, daß es sich lediglich um eine Ablenkung von einer unmelodischen Wirklichkeit handelte. Sie sah jeden Tag ihres Lebens ein perfektes Opfer dieser Wirklichkeit.
Ihre Mutter, die wie eine Gefangene lebte - dieses Hauses und der Vergangenheit gleichermaßen - und von Hoffnungen
sprach, wenn sie überhaupt die Energie zum Sprechen aufbringen konnte, die sie gehabt und mit ihren Freundinnen geteilt hatte. Bisher hatte dieser Anblick ausgereicht, Jo-Beths romantische Ambitionen, überhaupt alle Ambitionen, im Zaum zu halten.
Aber das, was zwischen ihr und dem Jungen aus Chicago gewesen war, würde nicht dasselbe Ende nehmen wie die große Liebe ihrer Mutter - sie selbst verlassen, und der fragliche Mann so verabscheut, daß sie es nicht über sich bringen 153
konnte, seinen Namen auszusprechen. Wenn sie in der Sonn-tagsschule, die sie immer pflichtschuldig besucht hatte, etwas gelernt hatte, dann die Erkenntnis, daß Offenbarungen dann und dort kamen, wo man am wenigsten mit ihnen rechnete. Zu Joseph Smith auf einer Farm in Palmyra, New York; die Nachricht aus dem Buch Mormon, die ihm ein Engel überbracht hatte. Warum zu ihr dann nicht unter nicht weniger vielversprechenden Umständen? Butrick's Steak House betreten; mit einem Mann, den sie von überall und nirgends kannte, auf einem Parkplatz stehen?
Tommy-Ray war in der Küche; sein kritischer Blick war so durchdringend wie der Geruch des Kaffees, den er kochte. Er sah aus, als hätte er in den Kleidern geschlafen.
»Spät geworden?« sagte sie.
»Für uns beide.«
»Nicht besonders«, sagte sie. »Ich war vor Mitternacht zu Hause.«
»Aber du hast nicht geschlafen«
»Manchmal, manchmal nicht.«
»Du warst wach. Ich habe dich gehört.«
Sie wußte, das war unwahrscheinlich. Ihre Schlafzimmer befanden sich an entgegengesetzten Enden des Hauses, und der Weg zum Badezimmer führte ihn nicht in Hörweite zu ihrem.
»Und?« sagte
Weitere Kostenlose Bücher