Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Adept in mindestens sieben, doch vermutlich weitaus mehr Jahren angesammelt hatte, trennte die Männer automatisch. Fast lebten sie in unterschiedlichen Welten, denn die Welt bestand für jeden Menschen aus dessen gesammelter Erkenntnis und Wahrnehmung. Die Wahrnehmung eines Mannes, der auf dem Weg zum Meister schon weit fortgeschritten war, unterschied sich grundlegend von der eines eben erst akzeptierten Akolythen.
„Spaziergang?“, fragte Ian.
„Ja. Zwei Straßen weiter gibt es ein nettes Wirtshaus.“
„Ich soll keinen Alkohol trinken. Außerdem habe ich zu tun.“
„Natürlich. Wir haben alle zu tun, und ich spreche von Bier. In diesem erleuchteten Land betrachtet man Bier als Grundnahrungsmittel. Also kommen Sie mit! Ein Glas wird Sie nicht umhauen – und ich gebe einen aus.“
Ian fühlte sich gar nicht danach, am helllichten Tag Alkohol zu trinken. Er brauchte seine volle Konzentration – und nicht nur für seine Studien. Er musste wach und aufmerksam sein, falls man ihm wieder irgendwelche Fragen stellte.
„Das ist nett, aber ich trinke …“
„Papperlapp. Ein Spaziergang wird Ihnen guttun. So wie Sie arbeiten und studieren wie ein alter Stubenhocker, könnten Sie genauso gut wieder in dieser Höhle gefangen sein. Ja. Ich habe Ihr Abenteuer nachgelesen. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich Ihnen die eine oder andere Frage dazu stelle?“
Es machte ihm sehr wohl etwas aus. Doch konnte er der Sache wohl kaum entgehen.
„Selbstverständlich nicht“, antwortete er höflich und ließ sich aus dem Speisesaal eskortieren. „Fragen Sie nur. Man hat mich instruiert, alle Fragen mit größter Genauigkeit zu beantworten.“
„Hat man? Das muss ja verdammt lästig sein.“
Da hatte er recht.
„Ich begreife das Bedürfnis nach Information, Mr. Sutton.“
„Darauf wette ich.“
Sie verließen das Logenhaus, und einen Augenblick lang blendete der strahlende Frühlingsmorgen Ian. Er hielt inne und schützte seine Augen.
„Sie sind viel zu lange drinnen“, bemerkte Sutton. „Sie sehen aus, als wollten Sie sich vampirgleich beim ersten Sonnenstrahl in Staub auflösen.“
Ian lief rot an.
„Ich glaube, sie lösen sich nicht in Staub auf, Mr. Sutton“, sagte er und verfluchte sich dann dafür, dass er darauf geantwortet und den Amerikaner nicht allein zum Biertrinken geschickt hatte. Vampirismus war genau das Thema, das er hatte vermeiden wollen. Vielleicht sollte er sich schnell eine Ausrede einfallen lassen und doch noch hinter einem Buch verschwinden. Nicht dass man für notwendigen Fleiß unbedingt eine Ausrede brauchte.
Jedenfalls sollte er nicht über Vampire reden.
„Douglas. Oder Bruder, falls Ihnen Douglas zu wenig formell ist. Wir sind schließlich Brüder.“
„Bruder Douglas. Danke. Ian.“
„Ich weiß, Bruder Ian.“ Der Mann schmunzelte. „Ihr Engländer seid immer so schrecklich förmlich.“
„Ich bin Schotte, Herr … Bruder. Douglas.“
„Das ist dasselbe.“
„Keinesfalls. Nicht im Mindesten.“
„Habe ich da einen wunden Punkt getroffen?“
„Wir Schotten …“
„Ich weiß. Sie wissen mehr über britische Geschichte als ich, und offenbar wissen Sie auch mehr über Vampire. Wenn sie nicht zu Staub zerbröseln – was tun sie denn dann bei Tageslicht?“
„Sie tragen Sonnenbrillen.“
Der Amerikaner brach in schallendes Gelächter aus und klopfte Ian so kräftig auf die Schultern, dass dieser fast ins Stolpern geriet.
„Der war gut. Den muss ich mir merken. Sonnenbrillen gegen Verbröselung. Sonst noch was?“
„Sie fahren Fahrrad.“
„Ah. Das ist freilich moderner als Fledermausflügel. Also, Ian, wenn Ihnen jemals jemand sagt, Sie sollten einen Gruselroman schreiben: Lassen Sie ’ s. Ihnen fehlt die richtige Einstellung. Haben Sie je einen getroffen?“
„Einen Gruselroman?“, fragte er, während er hörte, wie sein Herz zu rasen begann.
„Einen Vampir!“
Er zuckte die Achseln und grinste nur, als habe er dem anderen einen Schabernack gespielt.
„Ist diese Bierkneipe weit von hier? Ich muss noch dringend etwas nachschlagen“, sagte er nur.
„Du lieber Himmel, sind Sie fleißig. Sie sind auch nicht glücklich, solange Sie nicht Ihre Nase in einem Buch haben, oder?“
„Nun, ich …“
„Außerdem reden sie nicht gern über Vampire. Soweit zu meinem Bedürfnis nach Information.“
„Was haben Vampire mit alldem zu tun?“
„Sagen Sie es mir.“
„Sie haben gar nichts damit zu tun.“
„Dachte ich’s doch. Ist das
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