Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Hand an seiner Schulter, die ihn hochzog. Sein Blick verschwamm und wurde dann mit einem Mal wieder klar. Ticktack machte die Uhr. Bier war über den Tisch verschüttet. Er musste wohl den Krug ins Schwanken gebracht haben. Das Licht, das durch die engen Fensteröffnungen fiel, war voller schwirrender Staubpartikel. Es schien der Dunkelheit des Raumes, der so voller Schatten war, gar nichts anhaben zu können.
Langsam kam er zu Atem, presste Luft in seine Lungen, die sich dagegen zu wehren schienen.
„Böse Sache“, sagte Sutton nach einer Weile. „Da hat Sie wohl jemand mit drastischen Mitteln zum Stillschweigen verurteilt. Nein, antworten Sie nicht. Versuchen Sie sich zu entspannen. Ich mag unrecht haben oder recht. Doch ich habe nicht vor, Sie mit meiner Neugierde umzubringen. Der Bann war eben kurz augenscheinlich. Die Fey können so etwas tun. Menschen aber auch. Selbst ich könnte es vermutlich. So schwierig ist es gar nicht. Funktioniert durch das eigene Schuldgefühl des Opfers. Durch dessen Angst. Wenn Sie aufhören könnten, sich deshalb ein Gewissen oder Sorgen zu machen, würde es vielleicht irgendwann ganz aufhören. Doch wer würde schon sein Leben für diese Theorie aufs Spiel setzen wollen?“
Ian schwieg.
„Sie haben also einen Freund, dessen Wissen uns helfen kann. Sagen Sie nichts. Trinken Sie.“
Ian merkte, dass seine Hände zitterten. Kaum vermochte er den schweren Bierkrug zu heben, ohne ihn fallen zu lassen. Es war peinlich. Sutton redete einfach weiter.
„Doch offenbar will er uns nicht helfen, denn ich bin ziemlich sicher, dass Sie ihn gefragt haben.“
Ian nickte, und ein Beben durchlief ihn.
„Wird die Situation mit den Energielinien wieder aufhören?“
„Soweit ich weiß, ja“, murmelte Ian. „Bald vermutlich, soweit ich es verstanden habe.“
„Vielleicht nicht bald genug.“
„Ich weiß nicht.“
„Ihre Quelle weiß nicht, wer dahintersteckt?“
„Ich glaube nicht.“
„Haben Sie eine Ahnung?“
Ian zuckte unglücklich die Achseln.
„Die Fey sind selten“, sagte er vorsichtig, „und nicht gerade Großstadtkreaturen. Die Sí, die ich vor eineinhalb Jahren traf, schienen ihr Revier zu haben, an die Wildnis der Berge gebunden zu sein, an ihre Höhlen, ihre Seen, an einsame leere Regionen mit wenig menschlichem Einfluss. Hier sind wir in einer modernen Stadt, wo man sie nicht erwarten würde. Dennoch ist der Student, mit dem ich meine Wohnung teile, erst vor zwei Nächten von einer Drude angegriffen worden, die ihn fast umgebracht hat. Ein Feyon in Form eine Riesenspinne. Unserer Bibliothek zufolge leben Druden von der Lebensenergie, der Essenz oder Seele ihrer Opfer. Allerdings sind sich die verschiedenen Berichte nicht einig. Auch hier steht, dass sie hauptsächlich in ländlichen Gebieten vorkommen. Vielleicht gibt es ja einen Grund, warum eine ponygroße Spinne auf einmal die nächtlichen Straßen Münchens unsicher macht. Vielleicht gibt es ja eine Verbindung zu den Energielinien.“
„Haben Sie Ihre Quelle danach befragt?“
„Nein.“ Ians Antwort war so kurz, dass sie schon ruppig war.
„Würde er es Ihnen sagen?“
Diesmal antwortete Ian nicht.
„Wie hat Ihr Wohnungsgenosse überlebt? Hat er arkanes Talent?“
„Nein. Er wurde rechtzeitig gerettet.“
„Von Ihnen?“
„Nein. Ich war gar nicht da und hätte auch weder die Kenntnisse noch die Macht dazu.“
„Doch jemand hatte sie.“
„Ja.“
Der Amerikaner nahm noch einen tiefen Schluck und setzte dann seinen leeren Krug ab.
„Interessant“, sagte er. „Sehr interessant. Trägt er eine Sonnenbrille?“
Kapitel 43
Lena trug ihr bestes Kleid. Es als Sonntagskleid zu bezeichnen, wäre aufgrund des Dekolletés allerdings sicher falsch gewesen. Sie war etwas sorgfältiger zurechtgemacht als das letzte Mal, als sie für Thorolf Modell gesessen hatte, und Thorolf schloss daraus, dass er in ihrer Wertschätzung offenbar gestiegen war. Oder vielleicht schätzte sie auch nur den Wert eines Mannes, der sich private Modelle leisten konnte, in einer netten Wohnung lebte und gut angezogen war.
Er war profitabel geworden.
Sie lächelte ihn freundlich an, und er lächelte zurück, ein wenig amüsiert, aber auch geschmeichelt. Sie war also an ihm interessiert. Das mochte sie schon vorher gewesen sein, doch heute hatte sie sich besondere Mühe gegeben, ihn zu beeindrucken.
Er fragte sich, was für einen Unterschied es für ein Nacktmodell machte, welches Kleid sie trug, bevor sie sich
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