Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Ich verdiene dich gar nicht.“
„Ich liebe dich.“
Er nickte und wandte sich mit einer vorsichtigen Bewegung von ihr ab.
„Wir sollten aufstehen. Wir wollen doch nicht unpünktlich sein!“, sagte er pflichtbewusst.
Sie seufzte. Sie waren nie unpünktlich.
Sie riss ihren Blick von ihm los, um nicht die schmerzhaften Verrenkungen mit ansehen zu müssen, die er machte, um sich in eine aufrechte Haltung zu zwingen. Sie krallte ihre Fingernägel in ihre Hände, um sie davon abzuhalten, nach ihm zu greifen und ihm zu helfen. Er wollte keine Hilfe. Er brauchte keine Hilfe.
Er griff nach seinen Krücken, die am Bett lehnten.
„Frau Lybratte ist eine schöne, intelligente Dame. Aber du bist meine Frau, Charly.“
„Ja, Asko.“
„Ich würde ihrer Anmut auch nicht erliegen, wenn ... die Dinge anders wären.“
„Ja, Asko.“
„Für so eine intelligente, gebildete Frau, wie du eine bist, meine liebe Charlotte, kannst du manchmal recht töricht sein.“
„Gewiss, Asko.“ Er liebte sie. Es gebrach ihm nur am passenden Vokabular.
„Ich auch, muss ich wohl leider gestehen.“
„Das stimmt, Asko.“
Kapitel 9
Frau Treynstern fand den geräuschvollen, schaukelnden Zug ermüdend. Es war eine lange Reise von Salzburg nach München, obgleich die Dauer sich verkürzt hatte, seit es die Eisenbahn gab. Besser als die Postkutsche war sie allemal. Sie hatten einen Aufenthalt in Rosenheim, wo die Reisenden aus Österreich in die Königlich Bayerische Eisenbahn umsteigen mussten. Dennoch war sie seit Tagesanbruch unterwegs.
Sie teilte ihr Abteil mit zwei Herren, die sehr hilfsbereit gewesen waren und das Gepäck, das sie nicht aufgegeben hatte, für sie in die Netze gehoben hatten. Viel zu viel hatte sie eingepackt.
Dabei sollte sie wirklich nicht lange bleiben. Ihr Sohn würde es sicher peinlich finden, und Charlotte hatte andere Probleme, als die aufopfernde Gastgeberin zu spielen. Ihre Briefe waren sorgfältig neutral formuliert, doch Sophie verstand es ausnehmend gut, zwischen den Zeilen zu lesen. Einen Invaliden zu heiraten, dem es nicht gut ging, und der vielleicht nie wieder gesunden würde – einen Mann, der bereits über seinen eigenen Stolz gestolpert war, als er sich noch bester Gesundheit erfreut hatte – all das konnte nicht einfach sein.
Doch Charlotte war nicht ihr Hauptproblem. Das war Thorolf, an den sie fast ausschließlich dachte. Sie kramte seinen Brief aus ihrem Pompadour und las ihn, wie schon unzählige Male zuvor.
München, April 1867
Liebste Mutter,
ich nehme an, Du wirst böse auf mich sein. Ich weiß wohl, Du hast mit ganzem Herzen gehofft, dass ich Jurist würde genau wie Vater. Vermutlich wünschen sich alle Eltern, dass ihre Söhne in die Fußstapfen der Väter treten. Ich fürchte nur, dass Jura mir so gar nicht liegt. Ich bin sicher, wenn Du in Ruhe darüber nachdenkst, wirst Du auch zu dem Schluss kommen, dass mein Talent zum Paragraphenreiter nicht besonders ausgeprägt ist.
Also schreibe ich Dir aus München, wo ich ein neues Zuhause gefunden habe. Bitte denke nicht, ich hätte Deinen Rat leichtfertig in den Wind geschlagen. Du weißt, dass ich mein Jura-Examen an der Universität zu Wien erfolgreich abgelegt habe. Das habe ich für Dich getan und natürlich auch für Vater. Du hast mich gelehrt, auf ihn stolz zu sein und so zu leben, dass auch er auf mich stolz sein könnte, wenngleich er schon so lange verstorben ist, dass ich gar keine Erinnerung an ihn habe.
Ich habe Dr. Ralfbergers Angebot, mich als Juniorpartner in seine Kanzlei aufzunehmen, abgelehnt. Natürlich bin ich Dir sehr dankbar, dass Du mir einen so aussichtsreichen Karrierebeginn vermitteln wolltest. Doch ich kann das schlichtweg nicht tun. Es tut mir leid, meine süße Mama, so ist es nun einmal. Dr. Ralfberger verdient sicherlich einen Partner, der sich für diesen Beruf interessiert, und ich wiederum verdiene vielleicht auch einen Beruf, der mich interessiert.
Ich hatte mir schon länger vorgenommen, mich als Künstler zu versuchen. Ich hatte ursprünglich nicht vor, das ausgerechnet in München anzugehen, wo doch Wien eine so unvergleichliche Stadt ist. Doch ich hatte ein bisschen Ärger mit einem Herrn, dessen Schwester mich etwas zu intensiv mochte. Du weißt ja, wie es ist. Oder auch nicht. Vermutlich nicht. Wie soll ich Dir das erklären?
Ich weiß, was Du denkst. Du glaubst sicher, es war ganz allein mein Fehler, aber bitte sei versichert, dass es sich wirklich nur um eine Verkettung von
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