Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
weg von hier, man muss übers Meer, um dorthin zu kommen.« In diesem Moment wurde Jonathan klar, dass Marlee noch nie das Meer gesehen hatte. Und dann kam ihm ein noch traurigerer Gedanke. Wenn Marlee hier bei ihrer Aborigine-Familie blieb, würde sie das Meer niemals sehen. »Ich muss auch zurück nach England«, sagte er jetzt, mehr nicht. Er fand, sie war zu klein, um zu begreifen, dass er eine Verlobte hatte, die auf ihn wartete.
    »Du willst mich hier allein lassen und in ein Land ganz weit weg gehen?« Marlee schaute zu ihm auf, und ihre riesigen braunen Augen voll vom Schmerz des Verlassenwerdens füllten sich mit Tränen.
    »Wenn du bei deiner Familie nicht glücklich bist, dann kommst du mit mir, Marlee. Das verspreche ich dir. Aber wenn du bleiben willst, dann fahre ich weg und komme ganz oft zurück, um dich zu besuchen. Ich hab dir doch gesagt, ich werde immer in deinem Leben bleiben, und das meine ich auch so.«
    Marlees Unterlippe zitterte, als sie mit den Tränen kämpfte. Sie stand auf und lief durchs Haus in ihr Zimmer. Erin, die an der Tür stand, bemerkte sie kaum.
    Auch Jonathan stand auf. »Marlee«, rief er.
    Erin trat auf die Veranda heraus. »Soll ich mal mit ihr reden?«
    Jonathan nickte und setzte sich wieder. Er hatte keine Ahnung, wie er es fertigbringen sollte, Marlee bei ihrer Familie zu lassen. Dann dachte er wieder an Bojan Ratko und die Gefahr, die der Mann für das kleine Mädchen darstellte. Wenigstens würde er sie nie finden, wenn sie bei ihrer Aborigine-Familie lebte.
    Einige Zeit später kam Erin auf die Veranda zurück. »Sie schläft«, sagte sie, sichtlich außer Fassung. »Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber sie war ziemlich aufgeregt. Ich habe ihr erklärt, dass Sie sie lieb haben und dass Sie nur das Beste für sie wollen. Marlee hat geschluchzt und gesagt, sie wolle bleiben, wo sie sei, mit mir und mit meinem Onkel und mit ihrem Jono.« Erin wischte sich eine Träne von der Wange. »Ich weiß, habe ich zu ihr gesagt. Aber Onkel Cornelius und ich fahren bald zurück nach Coober Pedy, und dann geht es heim nach England. Ich will nicht, dass ihr wegfahrt, hat sie weinerlich gesagt. Und dann hat sie ihre kleinen Ärmchen so fest um meinen Hals geschlungen, dass ich kaum atmen konnte. Ich hab sie gehalten und mit den Tränen gekämpft. Ich kann den Schmerz der Kleinen so gut nachempfinden. Auch ich werde Marlee vermissen.«
    »Das ist einfach zu schwer, Erin«, sagte Jonathan. »Ich weiß nicht, wie ich damit fertig werden soll, wenn ich mich von ihr verabschieden muss.«
    »Vielleicht sind Sie beide einfach dazu bestimmt, zusammenzubleiben, Jonathan«, erwiderte Erin. »Vielleicht müssen Sie sie mit nach England nehmen, und Ihre Verlobte wird dann wie eine Mutter für die Kleine sein. Ich bin sicher, sie wird Marlee genauso sehr lieben, wie Sie das tun.«
    Jonathan hatte immer noch keinen Antwortbrief von Liza, aber Briefe waren lange unterwegs. »England ist so anders als Australien, Erin. Das Land wäre ganz fremd für Marlee. Jetzt ist es Winter dort und furchtbar kalt. Sie haben doch gesehen, wie gern sie draußen ist. Haben Sie eine Ahnung, wie sie sich fühlen würde, wenn sie monatelang ans Haus gefesselt wäre?«
    Erin gab zu, dass sie sich das nicht vorstellen konnte. »Ich habe mich ja selbst an das warme Klima hier gewöhnt, auch ich habe Mühe, mir vorzustellen, wie kalt es in England im Moment ist. Und ich werde diese unendliche Weite vermissen.« Sie würde auch Jonathan und Marlee vermissen.

28
    Die Zuschauergalerie war bis auf den letzten Platz besetzt. Am wütenden Gesichtsausdruck und dem rechthaberischen Gebaren derjenigen, die seitlich hinter Bojan Ratko saßen, war deutlich zu erkennen, dass es sich um seine treuen Anhänger handelte − Minenarbeiter aus der Gegend um Coober Pedy und Andamooka, wo Bojan vielen bekannt war, von einigen respektiert und von den meisten gefürchtet wurde.
    Die Plätze auf der anderen Seite des Gerichtssaals waren von interessierten Zuhörern besetzt, darunter Einheimische aus Alice Springs, die über den Prozess in den Zeitungen gelesen hatten, und Minenarbeiter, die unparteiisch waren oder sich, aus Angst vor eventuellen Übergriffen durch Ratkos Anhänger, so gaben.
    Da alle Plätze besetzt waren, stellte sich Jonathan ganz nach hinten und wartete darauf, in den Zeugenstand gerufen zu werden. Bojan Ratko saß auf der Anklagebank, flankiert von einem stämmigen Polizisten und seinem vom Gericht bestellten

Weitere Kostenlose Bücher