Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
fühlte sich Jonathan schon etwas besser. Das Känguru befand man für gar, und einer der Aborigines zog es mit einem Stock aus den Kohlen. Er ließ es zum Abkühlen auf der Erde liegen, dann riss er es auseinander und teilte es in Portionen. Jonathan und Marlee bekamen je ein Stück. Sie waren beide völlig ausgehungert. Marlee machte sich deshalb gleich daran zu essen. Ihr Fleischstück war völlig verkohlt, weil es ein Außenstück war. An der Art, wie sie es kaute, erkannte Jonathan, dass es zäh wie Leder war, und ihre Zähne waren schnell ganz schwarz. Jonathans Fleisch war noch sehr rosa und blutig. Ihm drehte sich der Magen um. Das Wasser, das man ihnen zu trinken gegeben hatte, war ganz schlammig. Erneut wurde ihm übel, und er wünschte, er wäre wieder in Alice Springs. Er wusste, Marlee ging es genauso. Wenn er diese Art zu leben nicht zu ertragen glaubte, wie konnte er das dann von ihr erwarten?
Verstohlen warf Jonathan sein Fleisch weg. Er blieb ruhig sitzen, als Alba und Carina zu ihnen kamen und Marlee dazu bewegen wollten, mit ihnen zu kommen, doch er merkte, dass Marlee sich unbehaglich fühlte. Sie rückte näher an ihn heran und legte die Arme um ihn. Die Frauen wirkten gekränkt und kehrten ans Lagerfeuer zurück.
Als das Feuer langsam verlosch, legten sich die Aborigines ohne Decken auf den Erdboden zum Schlafen. Jonathan war so müde, dass er kaum die Augen aufhalten konnte. Er merkte nicht mehr, dass Marlee sich an ihn kuschelte und ihren Kopf auf seinen Arm legte, so schnell schlief er ein.
Jonathan fuhr aus dem Schlaf auf. Träumte er? Wasser spritzte auf sein Gesicht, klares Wasser. Er leckte sich die Lippen mit seiner trockenen Zunge und schmeckte etwas Süßes. Es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff, dass es regnete. Rasch setzte er sich auf und hob Marlee hoch. Das Feuer war erloschen, deshalb war es stockdunkel. Vage erkannte er, dass die Aborigines Schutz suchten. Sie stellten sich unter Bäumen unter. Jonathan und Marlee gesellten sich zu ihnen. Die Bäume boten nur noch wenig Schutz, als der Regen heftiger wurde, so rückten sie eng zusammen. Jonathan nahm Marlee auf seinen Schoß und legte ihr die Arme um den Körper, um sie so gut wie möglich zu schützen. Das Wassertropfte vom Laub und von den Ästen, und in kürzester Zeit waren alle vollkommen durchnässt.
Mehrere Stunden saßen sie so da, während es wie aus Eimern schüttete und der Regen den Sand im ausgetrockneten Flussbett in zäh fließenden Schlamm verwandelte. Jonathan bemerkte verblüfft, dass die Aborigines im Sitzen schliefen. Er konnte das nicht. Wieder und wieder fragte er sich, was er hier bei diesen Leuten machte. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Ob Marlee wirklich hierhergehörte? Ihr Vater war Europäer, ihre Mutter eine Aborigine gewesen. Wie konnte er von ihr erwarten, dass sie so lebte, während er selbst das nicht ertrug? Er hatte das Bedürfnis, sich bei ihr zu entschuldigen. So hielt er sie ganz fest und schwor sich insgeheim, dafür zu sorgen, dass sie ein besseres Leben bekommen würde.
Als die Sonne aufging und es heiß wurde, zog sich das Wasser aus dem Flussbett zurück und hinterließ eine morastige rote Masse, die an Jonathans und Marlees Schuhen haften blieb. Alle kletterten auf die Uferböschung. Während die Aborigine-Frauen Feuer machten, gingen drei der jüngeren Männer auf die Jagd.
Die Sonne trocknete allmählich ihre Kleidung, doch Jonathan hatte sich noch nie im Leben unwohler gefühlt. Für ein Bad hätte er dem Teufel seine Seele verkauft. Marlees Kleid trocknete recht schnell, aber es war ganz schmutzig, und auch sie brauchte ein Bad. Jonathan hatte ihre Haarbürste eingepackt, doch erst musste ihr Haar gewaschen werden. Er dachte daran, wie entsetzt Erin wäre, wenn sie die Kleine in dem Zustand sehen könnte.
Jonathan beschloss, dem Ältesten zu sagen, dass er Marlee zurück in die Stadt bringen wollte, ehe es zu heiß wurde. Er hatte keine Ahnung, wie er ihnen erklären sollte, dass weder er noch Marlee so leben konnten, und als er es versuchte, wurde der Älteste wütend.
»Sie gehen«, schrie er. »Mädchen bleiben.«
»Was? Nein«, widersprach Jonathan. »Marlee bleibt bei mir.«
»Nein, Sie gehen«, sagte der Älteste wieder.
Jonathan wollte protestieren, aber die männlichen Mitglieder des Clans hatten ihn umzingelt. Sogar Alba warf ihm einen bösen Blick zu.
»Lass mich nicht hier, Jono«, schrie Marlee, und wieder klammerte sie sich an ihn.
Jonathan
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