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Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nahm sie hoch. »Nein, ich lasse dich nicht hier«, gelobte er und drückte sie ganz fest.

35
    Jonathan bat den Ältesten, ihn noch einen Tag bei dem Clan bleiben zu lassen, Marlee zuliebe. Der Mann lenkte schließlich ein, doch es war deutlich zu spüren, dass seine Entscheidung bei den anderen, vor allem den jüngeren Männern, nicht gut ankam. Er war froh, dass das Wort des Ältesten Gesetz war.
    »Du hast versprochen, dass du mich nicht allein lässt, Jono«, flüsterte Marlee ihm unter Tränen ins Ohr, als er sie zu einem kleinen Felsen in der Nähe trug, wo sie sich in die Morgensonne setzten.
    »Ich lasse dich nicht allein«, schwor Jonathan und betete, er würde sein Versprechen halten können.
    Als die Sonne am Himmel immer höher kletterte und die Temperatur weiter anstieg, suchten Jonathan und Marlee den Schatten der Bäume auf. Man bot ihnen gekochtes Echsenfleisch an, was Marlee ohne Bedenken annahm, weil sie es kannte, doch Jonathan probierte nur sehr zögerlich. Zu seiner Überraschung schmeckte es ähnlich wie Hühnchen, und er aß dankbar, schließlich hatte er großen Hunger.
    Bald kam Alba auf Marlee zu und redete in ihrer Stammessprache auf sie ein. Sie schien Marlee zu bitten, mit ihr zu gehen, um essbare Wurzeln und Beeren zu sammeln. Einige Wörter verstand er. Fragend sah die Kleine Jonathan an.
    »Ich warte hier«, sagte Jonathan, »geh nur mit ihr.«
    Marlee zögerte und schien besorgt zu sein. Er nahm an, sie hatte Angst, er würde verschwinden, während sie mit ihrer Großmutter unterwegs war.
    »Ich werde hier sein, wenn du zurückkommst«, gelobte er feierlich.
    Alba und Carina nahmen Marlee, Kala und Jiba mit. Bei derSuche nach essbaren Beeren, Obst und Yamswurzeln würde Marlee eine große Hilfe sein. Nach Yamswurzeln hatte Marlee viele Male mit ihrer Mutter gegraben. Sie erkannte auch mühelos die wilden Früchte und Beeren, die essbar waren.
    Während Jonathan auf sie wartete, beobachtete er die anderen Clanmitglieder. Er versuchte, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn Marlee bei ihnen aufwachsen würde. Sie war viel hellhäutiger als ihre Verwandten, und ihre Gesichtszüge waren feiner, aber es gab noch weit gravierendere Unterschiede. Sie interessierte sich sehr für Bücher und hörte gern Radio. Sie lag für ihr Leben gern in der Wanne und wollte Erin immer beim Kochen helfen. Das Schönste für sie waren Ballspiele. Cornelius hatte sie in Alice Springs auf den Tennisplatz mitgenommen und ihr beigebracht, wie man den Ball mit dem Schläger übers Netz beförderte. Er hatte zu Jonathan gesagt, sie habe eine gute Augen-Hand-Koordination und sei sehr sportlich. Sie zeichnete gern und sehr gut und war so wissbegierig. Das alles waren Dinge, die sie nie kennengelernt hätte, wäre sie bei ihrer Familie aufgewachsen.
    Jonathan versuchte, sich Marlee als Teenager vorzustellen, als Mädchen, das ohne Schulbildung aufwuchs. Sie würde die Bräuche ihrer Familie und ihres Stammes erlernen und Kenntnisse über das Leben im Busch erwerben, doch Lesen und Schreiben würde ihr niemand beibringen. Die Realität des Lebens hier draußen machte ihm Kummer. Eines der Mädchen aus dem Clan sah aus wie etwa dreizehn oder vierzehn. Sie war still und reserviert. Als sie Feuerholz sammeln ging, beobachtete Jonathan sie. Sie war sehr schlank und trug ein verblichenes Hemdkleid. Als sie sich zur Seite drehte, bemerkte Jonathan ihren runden Bauch. Voller Entsetzen begriff er, dass sie schwanger war. Der Gedanke, dass Marlee in wenigen Jahren ein Kind bekäme, war für ihn unvorstellbar. Aber wenn sie beim Clan bliebe, war es mehr als wahrscheinlich, dass sie bald in derselben Lage sein würde wie dieses junge Mädchen.
    Jonathan hatte sich für Marlee gewünscht, dass sie ihre Familiekennenlernte, und das war gut so gewesen. Aber nein, er wollte ihre Lebensweise nicht für Marlee. Nun verstand er endgültig, weshalb sie davongelaufen war. Und er hatte wieder einen Fehler gemacht. Aber konnte er den korrigieren?
    Kaum war die Abenddämmerung hereingebrochen, ermunterte Jonathan Marlee, sich schlafen zu legen. Mit ihrem Teddy im Arm rollte sie sich neben ihm zusammen.
    »Nach Hause«, murmelte sie, »ich will nach Hause.«
    »Ich weiß«, tröstete Jonathan sie.
    Um Mitternacht lagen alle Aborigines in tiefem Schlaf. Jonathan hoffte, dass sie fester schliefen als gewöhnlich, weil ihr Schlaf in der vergangenen Nacht durch das Unwetter arg gestört worden war.
    Jonathan schüttelte Marlee sanft. »Steh

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