Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
Emma.
»Ich kann gar nicht glauben, dass mir das früher nie aufgefallen ist … Ich meine, dass sie so zugeknöpft ist. Sie ist ja genau wie Franks Mutter. Ich glaube, wir haben ihre empfindsame Seele verletzt.« Erin verzog das Gesicht zu einer Grimasse, doch dann lachten sie beide.
»Ich denke, wir haben richtig vermutet«, bemerkte Emma. »Carmel hat kein großes Potenzial als Verführerin im Schlafzimmer, und der arme Frank hat Reißaus genommen.«
Erin hätte am liebsten noch einmal laut herausgelacht, aber sie spürte, wie sich erneut eine düstere Wolke vor ihre Gedanken schob.
»Alles in Ordnung mit dir, Erin?«
»Ja, mir geht es gut. Geh du lieber Carmel suchen, ehe sie noch ins Kloster eintritt. Ich glaube, ich trinke noch einen Cognac.«
»Iss erst mal was«, riet ihr Emma. »Ein richtiges Mittagessen holen wir bald einmal nach. Ehrenwort.« Sie verließ das Restaurant und lief die Straße hinunter, um Carmel noch einholen zu können.
Erin bestellte sich einen weiteren Cognac, dann saß sie da und starrte aus dem Fenster. Es war stürmisch und kalt, doch der Cognac durchwärmte sie und betäubte wenigstens zum Teil ihren Schmerz. Menschen in Wintermänteln, Hüten und Stiefeln gingen am Fenster vorbei. In der Ferne erkannte sie die oberen Stockwerke des Hotel Langham über den anderen Gebäuden. Dem Hotel so nah zu sein weckte Unbehagen in ihr.
»Hallo, Erin«, hörte sie da eine vertraute männliche Stimme. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte es etwas Unwirkliches, das Hotel Langham zu sehen und diese Stimme zu hören. Dann traf sie die Realität.
Erin brauchte gar nicht erst aufzuschauen, um zu wissen, dass Andy neben ihr stand. Durch die Vordertür war er nicht gekommen, er musste also irgendwo in dem überfüllten Restaurant gesessen haben. Sie zuckte zusammen. Wie alle anderen hatte also auch er Carmel gehört. Sein Ton war so eisig wie das Wetter. Wieso sollte es auch anders sein?
»Ich habe dir absolut nichts zu sagen«, erklärte sie mit einem ähnlichen Mangel an Wärme im Tonfall. Sie konnte sich nicht dazu überwinden, Andy anzusehen. »Also geh einfach weiter.«
Er achtete nicht auf das, was sie gesagt hatte, sondern setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, nun war sie gezwungen, ihn anzusehen.
»Hast du es dir zur Gewohnheit gemacht, Menschen zu demütigen?«, fragte er.
»Nur die Menschen, die es verdienen«, erwiderte Erin. Sie war recht ruhig in Anbetracht der Umstände, das hatte sie dem Cognac zu verdanken.
»Also mich, meinen Onkel und jetzt die brave Carmel«, sagte Andy anklagend. »Es überrascht mich übrigens gar nicht, dass der arme Frank zur Vernunft gekommen ist.«
Erin empfand nichts als Verachtung für Andy. Der Mann, der ihr gegenübersaß, war nicht der, in den sie sich verliebt hatte, sondern ein völliger Fremder. Sein forsches Auftreten machte deutlich, dass er keinerlei Reue wegen der Sünden empfand, die er in der Vergangenheit begangen hatte. Ganz im Gegenteil.
»Dein Onkel macht seine Sache gut, wenn es darum geht, sich selbst und seine arme Frau zu demütigen. Wie oft ist er schon bei einem Seitensprung ertappt worden?« Sie hatte die Stimme erhoben, sodass die Leute wieder anfingen, zu ihr hinüberzustarren. Wie traurig, du bist genauso geworden wie er, dachte sie.
Andy beugte sich vor. »Ich werde dir nie verzeihen, dass du mich so gedemütigt hast. Du hättest unsere Verlobung vor dem Hochzeitstermin auflösen können. Vor der ganzen Presse und unseren versammelten Hochzeitsgästen hättest du keinen Narren aus mir machen müssen.«
»Du erwartest, dass ich deswegen ein schlechtes Gewissen habe«, spie Erin ihm entgegen. »Du hast nur bekommen, was du verdient hast. Und wenn du damit nicht leben kannst, ist das dein Pech.«
»Du hast dir zwei Feinde in dieser Stadt gemacht, Erin«, sagte Andy mit drohendem Unterton.
»Zwei?« Erin war verwirrt.
»Die Ehe meines Onkels ist wieder am Ende, diesmal für immer, dank dir.«
»Was? Wie kann das meine Schuld sein, wenn er mit Lauren Bastion ins Bett geht?«, fragte Erin.
»Du hast ihre Affäre publik gemacht.«
»Um meinen Vater vor Lauren zu retten.«
»Und damit hast du die Ehe meines Onkels ruiniert.«
Erin sah rot. »Wenn seine Frau ihm auf die Schliche gekommen ist, dann nur deshalb, weil Lauren sich in dem Versuch, über meinen Vater herzuziehen, an die Presse gewandt hat.« Sie stand auf und schaute auf Andy hinunter. »Es scheint, in deiner Familie gibt es ein Problem mit der
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