Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
Zyklons.«
»Ihre arme Mutter. War der Wirbelsturm verantwortlich für das Auslösen der Wehen?«
»Vielleicht. Offenbar lag sie auf dem Fußboden in der Waschküche, als das Auge des Zyklons über unser Haus hinwegzog. Es heißt, alles wurde ganz still, und heraus kam ich und brüllte mir die Seele aus dem Leib. Diesen Zyklon hat meine Mutter seither für alle meine Missetaten verantwortlich gemacht.« Er lachte.
»Was tat Ihre Mutter denn in der Waschküche?«, fragte Erin verwirrt. »Sie hat doch nicht während eines Zyklons Wäsche gewaschen, oder?«
»Nee. Es war bloß der einzige Raum im Haus, wo man eine Chance hatte zu überleben, und so kam es dann auch. Das Holzhaus, auf Pfählen gebaut, wurde mit allem darin weggerissen, nurdie Waschküche, die aus Backstein war, widerstand dem Zyklon. Und so kann ich jetzt hier mit Ihnen reden.«
»Wie faszinierend!« Erin fand es schwer, sich vorzustellen, wie eine Familie so etwas durchstand.
»Im Februar 1942 haben die Japaner mehr Bomben auf uns geworfen als auf Pearl Harbour. Ihr Ziel waren die Hafenanlagen und die zwei Luftwaffenstützpunkte, damit die Alliierten von dort aus nicht Timor und Java schützen konnten. Sie töteten an die zweihundertfünfzig Menschen und zerstörten die Stadt. Ich hatte das Glück, dass ich zehn Meilen weiter die Küste rauf auf der Jagd nach Krokodilen war. Sogar aus der Entfernung hörte ich die Bomben.«
»Kaum zu glauben, dass die Bombenangriffe schlimmer waren als die auf Pearl Harbour«, sagte Erin skeptisch. Sie wusste nicht, ob sie dem Mann glauben sollte oder nicht. »Davon habe ich noch nie gehört«, sagte sie.
»Das wollte die Regierung auch nicht gerade an die große Glocke hängen«, behauptete der Angler. »Sie meinten, das wär rein psychologisch für uns Aussies ein heftiger Schlag. Die unten im Süden hätten womöglich ordentlich am Rad gedreht, wir hier im Northern Territory dagegen sind zäher als Krokodilleder. Aber jetzt beeilen Sie sich mal, Miss«, er wies zum Himmel. »Oder würden Sie gern ins Hotel zurück schwimmen?«
Kaum eine Stunde später strömte der heftigste Regen auf Darwin herab, den Erin je erlebt hatte. Die Rinnsteine konnten die Wassermassen nicht fassen, die Straßen verwandelten sich im Nu in Flüsse. An der Hotelrezeption erfuhr sie, dass Flüge nach Alice Springs in der Regenzeit nur sporadisch gingen, in den folgenden zwei Tagen würde sie sicher nicht fliegen können. Erin blieb nichts anderes übrig, als eine Fahrkarte für den Bus zu kaufen, der am nächsten Morgen in aller Frühe abfahren sollte.
Ohne zu wissen, dass die Fahrt über die gut neunhundert Meilen beinahe dreißig Stunden dauern würde, begab sie sich miteinem Gefühl von Abenteuer auf die Reise. So ermüdend, heiß und staubig hatte sie sich das Ganze nicht vorgestellt, aber wenigstens sah sie unterwegs etwas von der Landschaft und einige Städte. Wie sich herausstellte, hatte der Busfahrer die Gabe, jedes Schlagloch auf der Straße zu treffen, und drei Mal hatte der Bus eine Panne.
»Vielleicht wäre es ja gar keine so schlechte Idee, den Schlaglöchern auszuweichen«, schlug Erin dem Fahrer vor, als die Fahrgäste ihm in der sengenden Sonne dabei zusahen, wie er den dritten Reifen wechselte.
Für diese ungebetene Information wurde sie mit einem vernichtenden Blick gestraft. Danach gab der Mann sich mehr Mühe, den Schlaglöchern auszuweichen, woraufhin allen übel wurde.
Noch nie war Erin so dankbar gewesen, ihren Onkel wiederzusehen, als er sie in der Stadt vom Busbahnhof abholte. »Ich brauche dringend ein Bad«, war das Erste, was sie ausrief, bevor sie ihn begrüßte.
Cornelius lachte.
Erin fühlte sich gleich heimisch, als sie das Haus betrat, aber sie sehnte sich nur noch mehr nach Jonathan und Marlee. Sie nahm ein Bad, dann aßen sie Sandwiches und tranken Tee auf der Veranda. Der Anblick der leeren Schaukel war so schmerzlich.
»Es war nicht leicht, hier in dem leeren Haus zu wohnen, ständig habe ich Marlees Lachen im Ohr. Deshalb bin ich so froh, dass du gekommen bist«, sagte Cornelius.
»Du vermisst sie also auch …« Erin sah ihren Onkel traurig an. »Sie hat so eine Art, die Herzen der Menschen zu erobern.«
»Jonathan aber auch«, erwiderte Cornelius. Als er sah, dass Erin von ihren Gefühlen übermannt wurde, wechselte er schnell das Thema. Er erzählte ihr, was er auf seinen Reisen nach Broome und Lightning Ridge erlebt hatte. »Warte nur, bis ich dir zeige, was ich gekauft habe«,
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