Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Stimmt was nicht? Ich hoffe, ich war nicht indiskret.«
Erin fühlte sich wie betäubt. »Es … es ist alles in Ordnung«, stammelte sie und legte auf.
Sie starrte die goldene Uhr an. Wem gehörte sie? Mit zitternden Händen sah sie sich das Schmuckstück genauer an. Die Uhrwar offensichtlich sehr kostbar, denn sie war aus Gold, das Zifferblatt besetzt mit Diamanten. Als Erin sie umdrehte, entdeckte sie eingraviert auf der Rückseite die Initialen E.J.K. Ihr Herz raste, auf einmal war ihr ganz schlecht. Sollte Andy nur wenige Tage vor ihrer Hochzeit mit einer anderen Frau in einem Hotel gewesen sein? Das konnte doch nicht sein! Sie fühlte sich betrogen, sie hatte ihm vertraut und ihm ihr Herz geschenkt. Das passiert doch nicht wirklich, dachte sie. Eine Zeit lang waren ihre Beine ganz schwach, und beinahe wäre sie zusammengebrochen. Erin hielt sich an Andys Schreibtisch fest und gewann das Gleichgewicht wieder, aber zum zweiten Mal an diesem Vormittag brach sie in Tränen aus. Sie wartete einen Moment, bis sie sich ein wenig gefasst hatte, dann steckte sie die Uhr, die Verpackung und das Begleitschreiben in ihre Handtasche und stürmte aus Andys Büro vorbei an der Rezeption aus dem Hotel.
Erin hörte kaum, dass Melanie ihr etwas zurief. Sie lief und lief so schnell sie konnte, nahm jedoch nicht wahr, wohin. Sie merkte auch nicht, wie kühl es geworden war. Kurz darauf fand sie sich im Regent’s Park wieder. Über die York Bridge rannte sie zum Inner Circle und weiter zu Queen Mary’s Gardens. Rostrotes Laub wirbelte um sie her auf, aber Erin hatte keinen Blick für die Schönheit dieses Herbsttages. Schließlich gelangte sie an eine Bank mit Blick auf den kleinen See. Völlig außer Atem ließ sie sich darauffallen.
Enten und zwei schwarze Schwäne hockten am Ufer, einige kleine Boote dümpelten auf dem Wasser, doch auch davon nahm Erin nichts wahr. Nach einer ganzen Zeit wurde ihre Atmung wieder regelmäßiger, die Tränen, die ihr übers Gesicht strömten, waren jedoch nicht aufzuhalten. Es konnte einfach nicht wahr sein. Andy würde sie doch nicht betrügen. Er liebte sie, sie wollten in ein paar Tagen heiraten. Sicherlich hatte sie nur einen bösen Albtraum, gleich würde sie aufwachen und … Aber sie träumte nicht.
Erin trocknete sich zornig die Wangen mit einem Taschentuch ab und holte tief Luft. Ich dachte, Andy hätte sich geändert, fuhres ihr durch den Kopf. Ich dachte, er liebt mich genug, um mir treu zu sein. Sie hatte sich geirrt, doch bemitleiden würde sie sich nicht. Ganz bestimmt nicht! Sie hatte zu viel Selbstachtung, als sich mit der Rolle des Opfers zufriedenzugeben. Und sie hatte den Beweis.
Erin fröstelte. Die Sonne hatte sich hinter dicken grauen Wolken verzogen. Wenn sie noch länger sitzen blieb, würde sie sich eine Erkältung holen. Kurz überlegte sie, was sie tun sollte, dann entschied sie sich, nach Hause zu fahren.
Schnell ging sie zur Straße zurück und nahm ein Taxi. Zu Hause angekommen, ging sie direkt ins Arbeitszimmer ihres Vaters und versuchte, Andys Onkel Luke zu erreichen. Seine Sekretärin teilte ihr mit, er sei in einer Sitzung und deshalb nicht zu erreichen. Erin erkundigte sich, ob er kürzlich in Schottland gewesen sei, aber die Sekretärin war krank gewesen und erst an dem Tag wieder zur Arbeit gekommen, also wusste sie es nicht. Erin hinterließ eine Nachricht mit der Bitte, Onkel Luke möge sie so schnell wie möglich zurückrufen.
»Erin? Erin, bist du da?« Erin legte rasch den Hörer auf die Gabel, als Bradley den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Ich dachte, du arbeitest heute in der Galerie«, sagte er stirnrunzelnd. Das hatten sie am Morgen besprochen.
»Wollte ich auch, Dad ist jedoch früher zurückgekommen, also habe ich ihm die Galerie überlassen. Ich habe noch jede Menge zu erledigen.« Erin vermied es, ihrem Bruder in die Augen zu schauen. Sie wollte ehrlich zu Bradley sein, aber das konnte noch etwas warten. Sie tat so, als ob sie Papiere ordnen müsste. »Stehen heute keine Lieferungen an?«
»Doch, in einer Stunde. Du siehst irgendwie erschöpft aus. Geht es dir gut?«, fragte Bradley besorgt.
»Ich bin nur müde, ich muss allerdings noch ein paar letzte Sachen erledigen«, gab Erin bemüht lässig zurück. »Nachher hole ich mein Kleid ab. Hast du deinen Smoking?« Bradley sollte einer der Trauzeugen sein.
»Ich treffe mich nachher mit Andy und Ben, wir wollen die Anzüge abholen. Apropos Andy,
Weitere Kostenlose Bücher