Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
atemberaubendes Farbenspiel bot. Am westlichen Horizont ging die Sonne unter. Weiße Wolken hatten sich in rotgoldene verwandelt. Die Farbkontraste waren überwältigend. Die Hitze ließ nach, es kam sogar ein leichter Wind auf. Erin hörte die Vögelzwitschern, und die Fliegen waren verschwunden, was eine große Erleichterung war. Beinahe hätte sie vergessen, dass sie in ernsten Schwierigkeiten steckten. Aber nur beinahe!
»Ich denke, wir sollten uns damit abfinden, dass uns keiner holen kommt.«
Cornelius war in großer Sorge. Er hatte überlegt, Hilfe zu suchen, doch meilenweit waren kein Haus und kein Baum zu sehen, und er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er gehen sollte. Dass irgendwann ein Zug vorbeikommen würde, war das Einzige, womit er fest rechnen konnte.
»Es tut mir leid, Erin. Ich hatte angenommen, dass bald jemand kommen würde«, sagte er. »Du hast bestimmt großen Durst.«
»Ich bin regelrecht ausgetrocknet«, gestand Erin. »Du doch sicher auch.«
»Vielleicht sollte ich einfach die Gleise entlanggehen, und du bleibst hier bei den Koffern. Ich komme bestimmt irgendwann an eine Stadt.« Dass Erin dehydrierte, war seine größte Furcht, das konnte tatsächlich sehr gefährlich werden. Irgendetwas musste er tun, denn er fühlte sich für sie verantwortlich.
Erin geriet in Panik. »Ich will nicht allein hierbleiben.« Sie konnte kaum fassen, wie schnell es dunkel wurde. Es kam ihr vor, als hätte jemand eine Decke über die Sonne geworfen. Auch die Temperatur sank rasend schnell, womit sie eine neue Sorge hatte. Sie hatte keine warme Jacke eingepackt. »Der Zug kommt doch wieder vorbei, oder? Wir könnten einsteigen und mit zurückfahren.«
»Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Ich bin allerdings nicht sicher, wann das sein wird. Der Ghan zwischen Alice Springs und Adelaide verkehrt nicht täglich.«
Eine Weile schwiegen sie beide. »Ist dir kalt?«, fragte Cornelius dann, als er sah, dass sie die Arme um ihren Körper schlang.
»Ein bisschen. Ich habe nichts Warmes zum Anziehen mitgenommen, weil du gesagt hast, es könnte hier bis zu fünfzig Grad heiß werden.«
»Ich hätte dir erzählen sollen, dass es in der Wüste nachts kalt wird.« Cornelius ärgerte sich über sich selbst. Er hatte seine Nichte nicht genügend auf das vorbereitet, was sie erwartete. »Ich habe eine Jacke in meinem Koffer. Ich hole sie heraus.«
»Nein, nein, es geht schon«, sagte Erin tapfer.
»Dann werde ich sie suchen, wenn es noch kälter wird«, versprach Cornelius. »Wir setzen uns Rücken an Rücken auf die Plattform und lehnen uns aneinander. So haben wir es wärmer und können uns gegenseitig trösten.«
»Hast du das gehört?«, fragte Erin. Sie hatte einen dumpfen Schlag vernommen und kurz darauf ein Rascheln. Nun starrte sie ins Dunkel, konnte jedoch nichts erkennen.
»Ja«, sagte Cornelius. »Das wird ein Tier gewesen sein.«
Plötzlich kam Erin ein furchtbarer Gedanke. »Es gibt doch viele Schlangen in Australien, nicht?«
»Ja, die gefährlichsten der Welt leben hier.« Cornelius hatte schon den ganzen Nachmittag nach ihnen Ausschau gehalten, Erin aber nichts erzählt, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen.
»Ist das dein Ernst?«
»Allerdings«, erwiderte Cornelius. »Nachts regen die sich allerdings nicht, vor allem wenn es kalt ist.«
Erin war sich nicht sicher, ob sie das glauben sollte. »Und was ist mit den Spinnen?«
»Was soll mit ihnen sein?«
»Regen die sich nachts?« Erin hatte gerade das Gefühl, als krieche ihr etwas das Hosenbein hoch, und sie fing an zu kreischen.
»Ja, auch die Spinnen sind nicht ungefährlich.«
»Das sagst du mir jetzt«, jammerte Erin ängstlich. Sie richtete sich auf und schaute auf ihre Stiefel hinunter, aber in der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Sie fing an, mit den Füßen aufzustampfen.
»Was machst du da?«, fragte Cornelius verblüfft. Er überlegte, ob ihr seltsames Benehmen wohl damit zu tun hatte, dass ihr Körper ausgetrocknet war. »Das Geräusch gerade, das war höchstwahrscheinlich ein Känguru«, beruhigte Cornelius sie deshalb schnell. »Die sind nachtaktiv. Hätte auch ein Emu sein können. Beide sind harmlos.«
»Bist du sicher?«
Cornelius schwieg eine Weile. Auf einmal kam Erin in den Sinn, dass ihr Onkel womöglich nur ihren Mut auf die Probe stellte. Oder stimmte es wirklich, was er ihr da erzählte?
»Onkel Cornelius, was verheimlichst du mir?«
»Nichts.«
Seine Antwort kam sehr schnell. Erin meinte auch,
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