Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
eine Spur Unsicherheit in seinem Ton wahrzunehmen. »Das glaube ich dir nicht.«
»Ich habe nur gerade an eine Geschichte gedacht, die mir mal jemand in Andamooka erzählt hat.«
»Was für eine Geschichte?«
»Es ging um ein großes Kängurumännchen, das eine Farmersfrau angriff, als die gerade draußen Wäsche aufhängte. Aber so was passiert wohl nur sehr selten.«
Die schrecklichen Verletzungen, die die Frau davongetragen haben sollte, erwähnte er nicht, auch nicht die Tatsache, dass der Farmer das Känguru erschoss, nachdem es auch noch seinen Hund angegriffen hatte, der die Frau hatte verteidigen wollen.
Erins erste Reaktion war Entsetzen, dann lachte sie. Wieder fand Cornelius ihre Reaktion seltsam.
Was er nicht wissen konnte, war, dass Erin überzeugt war, ihr Onkel wolle ihr nur Angst einjagen. Sie hatte Bilder von Kängurus gesehen und fand, sie sahen harmlos aus, beinahe zum Knuddeln.
»Wieso haben wir eigentlich tagsüber keine Kängurus gesehen?«, fragte sie.
»Während der größten Hitze des Tages halten sie sich normalerweise von der Sonne fern, sie suchen sich einen schattigen Platzund legen sich hin. Erst bei Einbruch der Dämmerung, wenn sie Hunger bekommen, werden sie aktiv.«
»Ich schätze, jetzt willst du mir erzählen, dass auch Emus Menschen angreifen«, sagte Erin.
»Nein, das wollte ich bestimmt nicht«, antwortete Cornelius.
Der Mond zeigte sich am samtig schwarzen Himmel und tauchte die Landschaft mit seinem silbrigen Glanz in weiches Licht. Erin erschauerte. Auf einmal wurde ihre Aufmerksamkeit auf etwas Großes, Dunkles weit in der Ferne gelenkt. Sie war verwirrt, tagsüber hatte sie nichts Derartiges bemerkt. Erlag sie einer Sinnestäuschung?
»Was ist das da drüben, Onkel Cornelius?« Sie zeigte in die Richtung, in der sie das dunkle Unbekannte entdeckt hatte. Es schien sich zu bewegen, oder bildete sie sich das nur ein?
»Ein Wagen ist es nicht«, sagte Cornelius und kniff die Augen zusammen. »Ich höre nämlich keinen Motor.«
»Was ist es dann?«
»Vielleicht eine kleine Rinderherde oder Pferde.«
Neugierig hielten Erin und Cornelius Ausschau nach dem, was da langsam näher kam.
»Haben wir eine Halluzination?«, fragte Erin nach einer Weile. Ihr Mund war so trocken wie der Staub um sie herum, und sie hatte hämmernde Kopfschmerzen.
»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Cornelius. »Ich bin ziemlich sicher, dass es Rinder sind, Rinder oder Pferde.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er zu sprechen fort. »Ich möchte dir noch etwas sagen, Erin. Es hat mich sehr beeindruckt, wie du das alles bis jetzt geschafft hast. Ich hatte schon lange den Eindruck, dass du Mumm hast, auch wenn du bisher vom Leben verwöhnt wurdest. Aber was auch immer an Charakterstärke ich dir zugetraut habe, du hast meine Erwartungen noch weit übertroffen. Ich bin so stolz auf dich. Ich will nur, dass du das weißt. Hörst du?«
Erin war gerührt, sie wusste die freundlichen Worte ihres Onkels zu schätzen, sie machten ihr Mut. »Heißt das, du glaubst, ich komme mit Coober Pedy klar?«
»Wir haben den ganzen Tag hier in der sengenden Sonne gesessen, und du hast dich kaum beklagt. Also ja, ich glaube, die Chancen stehen gut, dass du mit Coober Pedy klarkommst.« Er grinste. »Eine Weile jedenfalls.« Er hoffte bloß, dass sie überhaupt nach Coober Pedy kamen.
Auf einmal hörten sie kehlige Brummlaute.
»Seit wann brummen denn Rinder und Pferde?«, fragte Erin besorgt.
»Das müssen Kamele sein«, sagte Cornelius aufgeregt. Das würde bedeuten, sie konnten sich neue Hoffnung machen.
»Kamele! Ich hatte ja keine Ahnung, dass es in Australien Kamele gibt«, rief sie begeistert und sprang auf.
»Die Afghanen haben Kamele hergebracht, um das Outback für die neuen Siedler zu erschließen. Kamele können größere Entfernungen zurücklegen als Pferde oder Ochsen, und das ohne zu trinken. Kamele können eine Menge Wasser auf einmal aufnehmen und es im Körper speichern. Es muss noch etliche in den Ortschaften hier im Outback geben.«
Die Tiere hatten sie jetzt erreicht, und der Reiter winkte ihnen zu. Wir sind gerettet, war alles, was Cornelius noch denken konnte. Er winkte zurück.
»Ein Glück, dass Sie noch hier sind«, rief der Kameltreiber. »Ich hatte keine große Lust, auf der Suche nach verloren gegangenen Leuten überall in der Gegend herumzutrotten.«
Cornelius war verwirrt. Er war sicher, der Mann, der sich wie ein Waliser anhörte, war auf der Suche nach jemand
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