Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
längst nicht alle Stadtbewohner erschienen, die beiden hatten also noch viel Zeit, den Himmel zu bewundern, ehe sie von den anderen Leuten abgelenkt wurden. Es war ein Anblick, der Erin den Atem raubte.
»So was bekommen Sie in London wohl nicht zu sehen, was?«, fragte Will, belustigt von ihrem ehrfurchtsvollen Gesichtsausdruck. Lässig legte er den Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls.
Ob er das bewusst macht?, dachte Erin, ging aber nicht weiter darauf ein. »Nein«, gab sie zu. »Einen grauen Himmel bekommen wir gut hin, solch einen Himmel leider nicht.« Sie spürte, dass Will seinen Blick nicht von ihr abwandte, und so drehte sie sich zu ihm. Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, er sagte jedoch kein Wort. War da eine Spur von Begehren in seinen Augen zu erkennen? Wollte Will sie küssen? Erin spürte einen Anflug von Panik, etwas hielt sie dennoch davon ab, sich abzuwenden.
»Oh, tut mir leid«, sagte jemand, der gegen ihren Stuhl gestoßen war.
Dankbar für die Ablenkung sah Erin zu dem Minenarbeiter, der sich neben sie setzen wollte.
»Macht nichts«, erwiderte sie und nutzte die Gelegenheit, ihren Stuhl etwas zu verrücken, was dazu führte, dass Will seinen Arm wegnahm.
Schon bald waren sie von sicherlich zweihundert Menschen umgeben. Sie alle zur selben Zeit am selben Platz versammelt zu sehen war in dieser Stadt im Outback etwas Neues für Erin. Es fühlte sich merkwürdig an. Die meisten Zuschauer waren Minenarbeiter, aber auch der Postmeister war mit seiner Frau gekommen. Ted und Jenny Silverman, ein Paar Anfang siebzig, hatten früher einmal das Postamt in Peterborough geleitet, einer kleinen Stadt mit noch weniger Einwohnern. Für sie war es ein Fest, unter so vielen Menschen zu sein. Der Ladenbesitzer Billy Brown, der mit seinen fast sechzig Jahren die Suche nach einer Braut und die Hoffnung auf eine Familie noch nicht aufgegeben hatte, saß ganz in der Nähe. Er unterhielt sich mit Daisy. Auch Clementine war gekommen. Als Erin Clementine sah, musste sie an Jonathan und Marlee denken und daran, wie ihre Reise wohl verlief. Sie konnte nicht anders, sie machte sich Sorgen.
Einige der Minenarbeiter erkannte Erin als ihre Kunden. Außerdem sah sie Cyril und Aimee Davidson vom Pub. Sie waren vollauf damit beschäftigt, Bier zu verkaufen, das schneller getrunken wurde, als sie es einschenken und servieren konnten. Willy Wilks war mit einem seiner Kamele gekommen. Sie hatte schon gehört, dass er für eine Weile in der Stadt war. Erin mochte ihren Augen kaum trauen, als sie sah, wie er ein paar Gläser Bier in einen Eimer kippte und dem Kamel anbot. Das Kamel soff geräuschvoll, das Bier schien ihm zu schmecken. Die Stammkunden der Kneipe feuerten das Tier sogar an.
Als Erin hörte, dass Willy sich lautstark mit einem Mann namens Mick unterhielt, überlegte sie, ob das wohl der Mick Huxley war, der Jonathan sein Auto verkauft hatte. Sie fragte den Constable, der bestätigte, dass der Mann tatsächlich Mick Huxley war. Und so erzählte Erin ihm, dass Jonathan Mick ein Auto abgekauft hatte.
»Jonathan hat Micks Oldsmobile gekauft?«, fragte er ungläubig. »Hat er den Wagen von Walter Ball durchchecken lassen?«
»Wer ist das denn?«
»Der Automechaniker hier im Ort«, erklärte ihr Will. »Das heißt, was wir uns eben als Automechaniker so leisten können. Er hat sich alles selbst beigebracht, aber er macht seinen Job wirklich gut.«
»Dass Jonathan den Wagen hat durchchecken lassen, davon hat er nichts gesagt. Er ist auf dem Weg zum Ayers Rock, um nach Marlees Aborigine-Familie zu suchen«, fügte Erin hinzu.
»Ich weiß, dass er Informationen von den Stämmen hier aus der Gegend wollte, also habe ich den Kontakt zu einem Aborigine-Fährtensucher vermittelt. Dass er aus der Stadt weg ist, das wusste ich nicht.« Will runzelte die Stirn. »Bis zum Ayers Rock ist es eine ganz schön weite Fahrt.«
»Ist Micks Wagen wohl zuverlässig?«, fragte Erin besorgt.
Sie sah, dass sich mehrere Aborigines neben den Stuhlreihen auf dem Boden niedergelassen hatten, um sich den Film anzusehen. Es schien ihnen nichts auszumachen, dass sie ihn nicht verstanden. Die Filmvorführung durchbrach ihr tägliches Einerlei, wie es auch bei den anderen Stadtbewohnern war.
»Mick hat ab und zu mal den Motor gestartet, damit die Batterie nicht den Geist aufgibt. Er hat den Wagen nicht oft gefahren, und wenn, dann betrunken. Ich glaube, er hat ihn ganz schön malträtiert.«
»Wie das denn?«,
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