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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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mit Kopf und Hinterteil hing. Irgendwann tauchte ein Arzt auf und gab mir eine Spritze in den Po, während Arndís die Stirn in Falten legte. Vielleicht hatte sie mir das Leben gerettet, indem sie sich mitten in der Nacht hinausgewagt hatte auf der Suche nach Medikamenten und nach Hilfe, bis sie schließlich diesen bäuerlich wirkenden Arzt aufgetan hatte, der behauptete, sich in Belgien aus dem Medizinstudium gesoffen zu haben.
    Als ich am nächsten Tag aufwachte, war sie verschwunden.
    Da lag ich also in einem luxuriösen Hotelzimmer, während über mir ein milchweißer Himmel sang.
    Unter großer Anstrengung schaffte ich es ans offene Fenster, sah durch die wehenden Gardinen, sog die wohltuende Brise ein und genoss die Aussicht.
    Unter mir ein Mehrfamilienhaus neben dem anderen, Satellitenschüsseln auf jedem Dach. Frauen standen auf den Balkonen und klopften Teppiche, hier und dort kicherten Kinder in den Fenstern. Die Straße war voll von dicht bestuhlten Cafés, in denen todschicke Kellner mit großer Geste heißes Wasser über Minzeblätter gossen. Bis auf wenige, meist westlich gekleidete Frauen schienen fast alle Gäste Männer zu sein. Und der Himmel sang weiter. Wie in Trance schwebte ich davon. Während in scheinbar weiter Ferne das Summen von Mücken zu Gott aufstieg, verfloss ich mit der hauchdünnen Milchluft, bis ich wieder wegdämmerte.
    Als ich wieder aufwachte, war sie zurück.
    So vergingen zwei Tage. Sie sah sich die Stadt an, während Dornröschen schlief, schaute aber in regelmäßigen Abständen vorbei, um mir Limonade, Wasser und kühlende Tücher zu bringen, meine Decke aufzuschütteln und in der Lobby amerikanische Komödien für mich auszuleihen. Am dritten Tag kam ich auf die Beine, ich wollte gesüßten Minzetee trinken und mir den uralten, zauberhaft schönen Bazar ansehen, ich wollte Teegläser kaufen oder einen Teppich, vielleicht sogar eine Schlange auf dem Arm halten, wie es die Leute auf den Fotos in unseren Reiseführern taten. Als ich jedoch dort war, war ich zu kaum mehr in der Lage, als ein wenig Tee zu schlürfen. Das, was mir am meisten im Gedächtnis blieb, war ein Mann, der auf Händen ging, weil er keine Beine hatte, und auf dem Lebensmittelmarkt ein zerzaustes Huhn, das sich um sich selbst drehte. Am vierten Tag saßen wir bereits draußen vor einem Café am Hafenkai und warteten auf unser Schiff. Gischt regnete auf uns herab, als ich Arndís fragte, was sie die ganze Zeit gemacht habe. Sie sagte, sie habe sich umgesehen.
    Allein?
    Ja, meistens. Ich habe eine supernette Frau aus Frankreich kennengelernt. Die wohnt hier und hat mir unglaublich faszinierende Sachen gezeigt. Du hättest ihr Haus sehen sollen. Total verrückt.
    Hast du die hier kennengelernt?
    Nicht direkt, sagte sie flüchtig. Das ist die Frau, bei der Fatima gearbeitet hat, diese Französin. Fatima hat mir ihre Adresse gegeben.
    Ich bekam große Augen: Und das erzählst du mir erst jetzt?
    Es sollte eine Überraschung sein. Aber dann bist du ja krank geworden. Und nun müssen wir wieder los.
    Dampf aus dem Teeglas zog vor ihr Gesicht, auf ihrer Stirn standen Schweißperlen, an einer davon saugte eine Mücke. Am Strand in Algeciras hatte ich mir eingebildet, dass wir einander nun vollkommen vertrauten. Und beschloss, das weiter zu glauben, obwohl die Erfahrung mich gelehrt hatte, dass Arndís sich nie ganz in die Karten schauen ließ. Sie zweifelte nie daran, dass sie anderen gute Ratschläge geben könnte. Also glaubte ich ihr. Sie lächelte verständnisvoll, als ich den Tee mühsam schluckte und zugab, dass es richtig sei, Jordi aus der ganzen Sache herauszuhalten.
    Seitdem sind zehn Jahre vergangen.
    *
    Helgi hat es sich bei Mama vor dem Fernseher gemütlich gemacht und ist froh darüber, dass ich mit dem Taxi durch die Dunkelheit nach Hause fahren will. Gähnend zieht er sich die Schuhe an.
    Zu Hause mache ich für uns eine Champignonsuppe aus der Tüte, während er mit seiner Mutter telefoniert. Wir haben beide keinen Appetit, ich wasche ab, und Helgi malt ein Bild von dem Tierkampf mit den Stiften, die er von Axel zu seinem zehnten Geburtstag bekommen hat, er liegt auf dem Bauch auf dem Küchenfußboden und summt vor sich hin, während Zartheit und Konzentration in seinem Blick miteinander kämpfen.
    Axel ruft sehr spät an und flucht über das Wetter. Sein Gejammere beeindruckt weder Helgi noch mich – dergleichen sind wir inzwischen gewohnt und grinsen uns verschworen an, als das Telefongespräch

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