Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
nie wieder nach Dänemark zurück. Das musst du mir versprechen. Bitte! Bitte! Bitte!
Darauf fällt mir nichts ein. Ich kenne dieses Gefühl. Weiß, wie es ist, wenn man seine Mutter so sehr liebt, dass einem schlecht wird. Wie es ist, wenn man weint vor lauter Angst, dass sie sich totschuftet. Und es die einzige Lösung zu sein scheint, keine Scherereien zu machen. Ich seufze, lege vorsichtig meinen Arm um ihn und merke, wie die Anspannung aus seinem Kinderkörper weicht, als ich ihm verspreche, dass ich den Mund halte unter der Bedingung, dass er mir gehorcht, solange wir zu zweit sind.
Helgi nickt, dann schüttelt er den Kopf und lässt ihn hängen, als ich das Schälchen mit den Schokostückchen in seine Richtung schiebe. Ohne aufzusehen, wiederholt er, dass er etwas zum Anziehen brauche. Alle anderen Sachen seien schon wieder dreckig, er brauche unbedingt etwas zum Wechseln.
Ich lächele gequält. Mit Axels Hilfe ist nicht zu rechnen. Gerade ist eine E-Mail von ihm gekommen mit einer Kontonummer und der Bitte, dass ich ihm Geld überweise, wahrscheinlich ist die Kreditkarte seiner Firma in der Hotelbar abgesoffen. Ich denke an meinen Kundenbetreuer in der Bank, der meinen Überziehungsrahmen schon jetzt für geradezu schwindelerregend hoch hält, und ich kann froh sein, wenn ich in einer Hosentasche noch einen Tausend-Kronen-Schein finde.
Egal. Leute, die ihre Mitarbeiter als Teddys verkleidet zu Verbrauchermärkten schicken, werden wohl kaum Nein sagen können, wenn man sie um einen Lohnvorschuss bittet. Bleibt noch das Problem mit den Männern, die mir auf den Fersen sind. Unter diesen Umständen sollte ich es eigentlich ablehnen, überhaupt Verantwortung für Helgi zu übernehmen. Ich muss endlich zur Polizei gehen.
Helgi schaufelt Cornflakes in sich hinein, während ich die Nummer 444 1000 wähle und mit einem Polizisten spreche, der mich bittet, vorsichtig zu sein. Dann sitze ich einfach nur da, die Hände im Schoß, und glotze hinaus in den Tag. Höre, wie Helgi den Kleiderschrank seines Vaters durchwühlt.
*
Irgendwann hatte meine Freundin Björg einmal gesagt, ich sei zu vorsichtig.
Wie meinst du denn das?, hatte ich sie damals gefragt.
Na ja, ich weiß nicht. Früher konnten wir über alles reden, antwortete sie voller Besorgnis in den braunen Augenbrauen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass nur noch ich dir etwas Persönliches erzähle und du mir nichts mehr.
So ein Quatsch!, sagte ich. Ich erzähle dir alles.
Wenn das stimmt, sagte sie und verdrehte ihre lockigen Haare zu einem Zopf, dann passiert bei dir überhaupt nichts mehr.
Wie lang ist es her, dass wir uns zuletzt gesehen haben? Monate müssen vergangen sein, seit ich mich mit einer Freundin oder Freunden getroffen habe. Ich habe genug mit mir selber zu tun.
Doch was tue ich eigentlich die ganze Zeit?
Sie hat mich im Herbst angerufen. Nun muss ich mich bei ihr melden.
Bald.
Ich mietete mich in ihrer kleinen Wohnung ein, als ich für den Eingriff nach Island kam. Ich brauchte einen Ort, wo ich bleiben konnte, bis ich nach Barcelona zurückfliegen durfte, und Björg hielt es für einen glücklichen Zufall, als ich so tat, als wüsste ich von einer jungen Spanierin, die gerne in ihrer Wohnung wohnen würde, während Björg eine Rucksacktour durch die USA machte. Obwohl das fast zu gut klang, um wahr zu sein, hat sie es geschluckt. Es war mir unangenehm, Björg anzulügen, aber immer noch besser, als Mama die Wahrheit zu sagen. Im besten Falle würde Mama sagen, sie respektiere meine Entscheidung, und währenddessen blinzeln, um sicherzustellen, dass ich den Schmerz in ihrem Blick bemerkte.
Im Zug von Madrid nach Barcelona hatte Arndís mich davor gewarnt, irgendjemandem zu vertrauen.
Wir sind Frauen, sagte sie kühl. Frauen müssen den Mut haben, alleine zu stehen, das dürfen wir nie vergessen! Sonst wird man ein Flittchen.
Ich schmunzelte. Flittchen war der Spitzname, den sie ihrer verschüchterten Mutter angehängt hatte. Arndís lachte kraftlos. Dann legte sie ihre Stirn an die Fensterscheibe, so dass ich sah, dass Schweiß ihre Schläfen hinunterrann, sie vertrug Hitze nicht gut, und kurze Zeit später fing sie an zu zittern. Auf diesem letzten Teil der Reise pflegte ich sie mit Wasser, kühlenden Tüchern, Medikamenten und gutem Zureden, so wie sie mich in Marokko versorgt hatte. So sind wohl Schwestern, dachte ich in der Gegend von Zaragoza, sie kümmern sich umeinander.
Mama hatte mich ganz für sich gehabt. Nun gehörte
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