Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
vorbei ist.
In den Abendnachrichten erwähnen sie weder die drei Männer noch die vermisste Frau. Der Aufmacher ist, wie ein Schwan am Rathausteich einen Hund tötet.
8. Dezember
NACH DEM ENDE einer unruhigen Nacht knülle ich als Erstes den Adventskalender zusammen. Die Schokostückchen fülle ich in ein Schälchen um, dann schmeiße ich ihn in den Müll. Helgi verschmäht sie ohnehin, und sogar ich habe in letzter Zeit wenig Lust auf Süßigkeiten, ebenso wenig, wie auf mein Äußeres zu achten. Während des Yoga-Kurses hatte ich mich dauernd hübsch gemacht und meinen Mann zu allen Stunden begehrt.
In den letzten Tagen ist das Verlangen nach ihm verebbt, nur dann und wann empfinde ich noch einen Rest von Sehnsucht, der sich sofort mit einer dickflüssigen Leere füllt.
Die Morgengymnastik der Herbstmonate erinnert mich nun an ein Todeszucken. Ich wollte ihn am liebsten mit Haut und Haar verschlingen – jetzt weiß ich kaum noch, wie sich das anfühlte. Es wird bestimt wiederkommen, wenn Axel zurück ist. Mein geliebter Axel. Es sind doch nur ein paar Tage vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Tage, die fortfliegen ans Ende der Welt.
Helgi tappt mit seiner Decke über den Schultern herein. Nach seinem zerknautschten Gesicht zu urteilen, hat er genauso schlecht geschlafen wie ich.
Deine Kaffeekanne ist doof, sagt er mit müdem Blick. Ihr Lärm hat mich aufgeweckt.
Du musst ohnehin aufstehen, sage ich und sehe vom Computerbildschirm auf. Dann weiß ich gar nicht mehr, wie mir geschieht, denn plötzlich weht ein schneidend kalter Wind durch die Küche. Helgis Augen gefrieren, eisblau, als er das Deckenlicht anmacht. Er lässt sich auf einen Stuhl fallen, zieht die Decke über den Kopf und knurrt: Ich kann schlafen, wann ich will. Ich kann tun, was ich will. Ich habe ja keine Eltern.
Erwachsenes Pflichtbewusstsein lässt mich sagen, dass er in die Schule müsse.
Und wer sagt, dass ich dir gehorchen muss?, fragt er und scheint die Wut in seiner Stimme zu genießen, jeden provozierenden Tropfen.
Ich zögere. Sage dann, dass das nun mal so sei, das müsse er verstehen. Doch er behauptet, er würde mich ja kaum kennen. Da wäre er doch vollkommen bescheuert, wenn er mir gehorchen würde, da könnte er genauso gut den Leuten im Nachbarhaus gehorchen. Ich gebe mich geschlagen und frage, wem er denn gehorchen würde.
Mama, sagt er. Und Papa vielleicht.
Natürlich, natürlich, sage ich und versuche nach Kräften zu verbergen, wie sehr mich seine morgendliche Gereiztheit verletzt. Und doch klingt meine Stimme hart, als ich ihn darauf hinweise, dass keiner der beiden im Moment zur Stelle sei.
Hör endlich auf, so schlecht über Mama und Papa zu sprechen! Das ist doch alles deine Schuld, keift Helgi total außer sich. Der ist wirklich mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden. Ich starre ihn ratlos an. Warum will seine Mutter nie mit Axel sprechen? Oder mit mir? Sie, die über alles bestimmt, was Helgi tut, sie, die entscheidet, wem sie die Verantwortung für Helgi gibt, sie, die Axel immer wieder unter die Nase reibt, dass er keinen Pfifferling wert sei und eben diese Verantwortung überhaupt nicht tragen könne. Und er lässt das alles mit sich machen, um des lieben Friedens willen. Er, der in Frederiksberg ihre Familie zerstört hat.
Du hast wunderbare Eltern, sage ich, ohne die Härte in meiner Stimme unter Kontrolle zu bekommen. Also musst du ihnen vertrauen. Du musst aufhören, deiner Mutter etwas vorzuschwindeln, du musst ihr sagen, dass dein Vater nicht da ist.
Seine Mundwinkel zittern, er starrt auf seinen Schoß und kämpft damit, die Tränen zu verbergen, was mir sofort den Wind aus den Segeln nimmt. Ich rücke an ihn heran und wiederhole, dass seine Mutter wissen müsse, was Sache ist; ich könnte mit ihr sprechen, wenn ihm das lieber ist. Da sinkt er endgültig in sich zusammen. Die Decke rutscht auf den Boden, und er sitzt vor mir, dünn, in seinem Herrenpyjama und weicht meinem Blick aus. Mühsam schluckt er, und aus seinem Hals kommt das Geräusch eines Eiswürfels, der in Mineralwasser fällt. Flüstert, dassernichstör.
Was?, sage ich, und er sieht mich an. Ganz kurz, dann kneift er die Augen zusammen und sagt klar und scharf und voller Zorn, dass er sie nicht stören will.
Aber nein, du …
Doch! Er ballt die Fäuste, so dass seine Fingerknöchel weiß werden. Mama muss sehr hart arbeiten. Du darfst ihr nichts sagen. Bitte, Sunna! Sonst verliert sie ihren Job, und ich kann
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