Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
nach irgendwelchen gefährlichen Ausländern gesucht. Darum dreht sich doch dieser ganze Krieg. Sie drückt die Zigarettenglut am Rand eines Waschbeckens aus und seufzt, dass über uns ein Rauchmelder und nichts mehr wie früher sei.
Mit großer Geste versprüht sie Parfüm um sich herum, stellt die Tasse ab und setzt sich mir gegenüber an den Tisch. Dann fragt sie ganz beiläufig, ob ich schwanger sei.
Ich?
Ja, Sie.
Ich, na ja, kann sein. Ich hatte so viel im Kopf in letzter Zeit, dass ich einfach nicht … Sie wissen schon.
Sie lacht heiser und ein wenig überheblich. Beugt sich vor, nimmt meine Hände und flüstert: Kaufen Sie sich einen Schwangerschaftstest!
*
Das Gute an Verbrauchermärkten ist, dass man da einfach alles bekommt. Kokosnüsse, Tennisschuhe, Schwangerschaftstests.
*
Für einen Moment spüre ich mit Angst vermischte Freude, dann bin ich einfach nur noch baff. Entgeistert setze ich mich wieder an meinen Schreibtisch. Woran es nur liegt, dass mich alles immer wie aus heiterem Himmel trifft? Womöglich ein Kind im Bauch, eine vermisste Freundin, Rabatte für Kifferbären, ein mir fremder Junge, ein unwetterverhinderter Partner, polizeilich gesuchte Männer, eine Gräueltat in der Wüste.
Wenn das so weitergeht, bleibt für Weihnachtsvorbereitungen überhaupt keine Zeit. Ganz zu schweigen davon, eine Kurzgeschichte für den Krimi-Workshop zu schreiben. Wie soll man das auch schaffen, wenn man von Kriminellen verfolgt wird? Hoffentlich kann Oddný mir helfen, mein Leben zu entwirren, wie es Krimischriftsteller täten. Ich brauche Antworten.
Auf alles.
Für immer.
Manche sagen, die Ewigkeit sei in Stammzellen zu finden, in dem Kleinen, das sich permanent erneuert.
Ich weiß nicht, was ich tun soll, vielleicht könnte der Mann mit der Uhr mir etwas raten. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Ragnheidurs Frage berechtigt ist und ich auf einen Plastikstreifen pinkeln muss, um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Ich habe die Symptome schon bemerkt. Vergessen ist einfach.
Ich muss Axel anrufen. Bald. Ich muss wissen, wie es um mich steht. Das Uhrwerk der Ewigkeit inspizieren. Ich neige dazu, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, sagt Mama. Sie sagt: Unangenehme Dinge finden bei Sunna nicht statt. Veränderungen, Verantwortung, Erlebnisse, Erinnerungen – meine Tochter sehnt sich danach, all das loszuwerden, um nur für den Moment zu leben, in seiner Handfläche zu zittern wie eine Quecksilberkugel.
Was ist der Unterschied zwischen einem Moment und der Ewigkeit?
Fragen über Fragen. Doch schon jetzt weiß ich, dass es ein Zufall gewesen war, der Arndís dazu gebracht hatte, sich mit mir abzugeben, mich so liebevoll anzusehen, dass ich keine Fragen mehr hatte. Sie hatte mich dazu gebracht abzutreiben, weil ich zu orientierungslos war, um ein Kind zu bekommen. Ich sollte erst einmal selbst richtig auf die Welt kommen.
Was für ein merkwürdiger Drang, über andere Menschen zu bestimmen. Wie passte das zusammen mit dem, was sie mir später in jenem Sommer gesagt hatte?
Das Thermometer näherte sich der vierzig Grad, so dass wir es nicht mehr in dem Sommerkurs aushielten, den wir als Ergänzung zu unserem Studium belegt hatten. Mit unseren Halsketten lagen wir am Strand, beide honigbraun im Bikini, Tücher um unsere Hüften gewickelt. Wir hatten eine Kühltasche dabei, in der sich eine Flasche Cava, Wasser und eine Melone befanden. Am salzschäumenden Meeresrand breiteten wir unsere Handtücher aus; dieser Strandbesuch war eine Art Abschiedsfeier nach mehr als einem halben Jahr des Zusammenlebens. Noch am selben Abend erwartete sie ihren Freund Benni, und für den Tag darauf hatten die beiden Flüge nach Marokko gebucht, wo sie eine Weile durch die Berge wandern wollten, von dort sollte es weiter durch Afrika gehen. Ich wusste nicht, ob ich es schade finden sollte, dass sie wegfuhr. Gleißend helle Sonnenstrahlen fielen in mein Auge, meine Gedanken waren wie Fische, die mir immer wieder aus der Hand glitten.
Eine Wolke verdunkelte die Sonne, schlechtes Wetter hing in der Luft, da verkündete Arndís mir in aller Seelenruhe, dass sie schwanger sei. Ich fasste mir an den Kopf, drückte die Fische zu Schwärmen zusammen. Was? Machst du Witze? Ich dachte, du könntest nicht schwanger werden wegen der Chlamydien-Infektion damals in der Oberstufe. Außerdem nimmst du Epilepsie-Medikamente! Und bist auf dem Weg nach Afrika …
Meine Verwunderung amüsierte sie. Ein Lächeln
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