Jenseits des Meeres
Kieran O’Maras Armen auf die Welt gekommen und hätte später Wunden versorgt, die sie in einem gemeinsam geschlagenen Kampf empfangen hatten.
Auf der anderen Seite des Feuers beobachtete Kieran heimlich Megan. In ihrem Gesicht spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle. Es widerstrebte ihm, sie nach ihren geheimsten Gedanken zu befragen. Obgleich sich Megan völlig still verhielt, ahnte er, wie ihr jetzt zu Mute war. Hatte er sich im Fleet-Gefängnis nicht ebenso gefühlt? Dort hatten ihn die Wärter nicht nur seiner Freiheit, sondern auch seiner Hoffnung und der Menschenwürde beraubt.
„Guten Morgen, Megan.“ Colin erwachte und setzte sich ein wenig steif auf. „Ist Euer Erinnerungsvermögen schon zurückgekehrt?“
„Nein. Sie bemühte sich, ihre düstere Stimmung abzuschütteln. Trauern wollte sie lieber, wenn sie allein war. „Was machen Eure Wunden?“
„Denen geht es wesentlich besser dank Eurer Kräuter und Wurzeln.“
Sie lächelte. Sie hatte keine Ahnung, welche Wirkung ihr Lächeln auf Männer ausübte. Colin indes wusste es und ebenso Kieran, der die beiden jetzt beobachtete.
„Dann habt Ihr also nichts mehr gegen meine Heilmethoden?“ „Ich bin im Gegenteil sogar ungemein dankbar dafür.“
Colin warf seinen Umhang beiseite und griff nach seinem Hemd. Ehe er es sich jedoch überzustreifen vermochte, ging Megan zu ihm und kniete sich auf den Boden.
„Ihr dürft Euch nicht anziehen, bevor ich Euch nicht meine gute Salbe aufgetragen habe.“
„Ich nehme an, dieses Ritual muss ich jetzt jeden Tag über mich ergehen lassen?“
„Und jede Nacht auch.“
„Soll das heißen, ich habe diese Entwürdigung hinzunehmen, bis jede Wunde verschwunden ist?“
„Jawohl, jede Einzelne. Ich habe mich nämlich zu Eurem Doktor ernannt.“
„Doktor? Oder Schutzengel?“
„Nennt es, wie Ihr wollt.“
„Ich vermute, es würde nichts nützen zu streiten.“
„Überhaupt nichts. Dreht Euch um.“
Als Megan die weiche Masse zu verteilen begann, seufzte Colin wohlig. „Hättet Ihr nicht so wunderbare Hände, Frau Doktor, würde ich es niemals zulassen, dass diese scheußliche Salbe auf Riechweite an mich herankommt.“ Erneut seufzte er zufrieden auf. „Doch da ich das alles ohnehin ertragen muss, könnt Ihr auch noch den Rest meines Rückens einreiben.“
„Möglicherweise reibe ich damit auch Euren Mund ein, falls Ihr ihn nicht bald haltet, Colin.“
Er brach in schallendes Gelächter aus.
Kieran hörte dem unbekümmerten Wortgeplänkel der beiden zu. So entspannt hatte er seinen Bruder schon seit über einem Jahr nicht mehr erlebt. Genau genommen, seit mehreren Jahren. Megan wirkte allerdings auch sehr gelöst, zumindest in der Gesellschaft seines Bruders.
Je länger diese kleine Neckerei andauerte, desto schlechter wurde Kierans Laune. War er etwa eifersüchtig? Allein bei diesem völlig abwegigen Gedanken sprang er auf. Er musste irgendetwas tun. Eifersüchtig! Wie sollte er denn auf seinen eigenen Bruder eifersüchtig sein? Selbst wenn Megan auch atemberaubend schön war -er hatte keine Zeit für Tändeleien.
Kieran bereitete die Morgenmahlzeit zu und kümmerte sich dann um die Pferde. Bei seiner Rückkehr sah er Megan vom Fluss kommen. Sie hatte sich offensichtlich das Gesicht gewaschen und sich das Haar, in das sie Wildblumen geflochten hatte, auf eine Seite gebunden. Es fiel ihm schwer, dieses unschuldige Mädchen in Übereinstimmung zu bringen mit dem feurigen Geschöpf, das den Angreifern so mutig gegenübergetreten war.
Wie immer fühlte sich Megan in Kierans Gegenwart gehemmt, und sein grimmiger Gesichtsausdruck erleichterte die Situation auch nicht gerade.
„Wie ... “ Sie unterbrach sich und fing noch einmal an. „Was machen Eure Wunden heute Morgen? Wünscht Ihr, dass ich Euch noch einmal einsalbe?“
„Dazu haben wir keine Zeit.“ Kieran wollte eigentlich gar nicht so brüsk antworten, doch irgendetwas an dieser Frau machte ihn ärgerlich und ungehalten.
Dass sie jetzt wütend wurde, verblüffte sie beide. „Falls Ihr zu arrogant seid, um zuzugeben, dass Ihr Hilfe benötigt, muss ich Euch eben dazu zwingen. Zieht Euch das Hemd aus! “
„Für dergleichen habe ich keine Zeit. Das erwähnte ich bereits.“ „Dann nehmt Euch eben die Zeit!“
Einen Moment standen sie einander zornig gegenüber. Colin löste schließlich die Spannung.
„Wenn du nicht tust, was die Lady befiehlt, Kieran, setzen wir heute unsere Reise überhaupt nicht mehr
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