Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
anmuten wie einen luftigen Innenhof. Obschon sich dieser Landsitz des Earl of Grantham neben dem wesentlich eindrucksvolleren Hawthorne House bescheidener ausnahm, wirkte Givons Grove im Vergleich zu Shamley Green wie eine verschwenderisch verzierte Buttercremetorte neben einem bodenständigen Laib Brot.
Die Räder des Wagens rollten durch den Kies, am Springbrunnen vorbei und an den akkurat getrimmten Buchsbaumkugeln entlang bis vor das Hauptportal. Lakaien standen dort bereit, um Stephen und Grace die Pferde abzunehmen, den Gästen aus dem Wagen zu helfen und das Gepäck ins Haus zu bringen.
»Da sind sie!«
Ein blondes Paar sprang die Stufen herab und eilte auf sie zu: Leonard, lässig in Anzughosen und Weste, die Hemdsärmel über seine gebräunten Unterarme hinaufgekrempelt, und seine Schwester Cecily. Eine Schar Spaniels und Pointer tollte um sie herum, hieß die Besucher bellend, winselnd und schwanzwedelnd willkommen. Und auch Gladdy, der derart mitleidheischend das Bepacken des Wagens verfolgt hatte, dass der Colonel Adas Betteln, ihn doch mitzunehmen, nachgegeben hatte, sprang aus dem Wagen und stob nun nach kurzem Beschnuppern freudig mit der Meute davon.
Ada stockte für einen winzigen Augenblick der Atem, als sieaus der Kutsche stieg. Cecily war übers Jahr noch schöner geworden. Von ihrem herzförmigen, ebenmäßigen Gesicht mit den kobaltblauen Augen unter dem silberblonden, glänzenden Haar ging ein ähnliches Leuchten aus wie von Leonard, nur heller, wie Mondlicht. Und einen Moment lang fühlte Ada sich elend bei der Vorstellung, den Abend im Schatten von Grace und Cecily stehen zu müssen.
Ein Kummer, der ein wenig gelindert wurde, als Cecily nach der formvollendeten Begrüßung von Sir William und Lady Norbury sogleich die Arme um Ada schlang und sie fest an sich drückte. »Oh Ads, ist das herrlich, dass du wieder da bist! Hier war alles nicht dasselbe ohne dich! – Grace! Wie schön, dich zu sehen!« Lachend umarmten sich die Freundinnen. Als sie sich voneinander lösten, zerfiel das Strahlen auf Cecilys Gesicht zu einem dünnen Lächeln. »Hallo, Becky.«
Becky ergriff Cecilys ausgestreckte Hand, ließ sie aber sogleich wieder los, einen verkniffenen Zug um den Mund. »Hallo, Cecily.«
»Herzlich willkommen«, erschallte es von der Tür her, und selbst wer die Hainsworths nicht kannte, hätte in diesem Augenblick, als Lord und Lady Grantham heraustraten, sofort gewusst, wem Leonard und Cecily ihr gutes Aussehen verdankten.
Lady Grantham, rank und feingliedrig und kaum größer als Ada, schloss das Mädchen in die Arme. »Du hast uns so gefehlt auf Givons Grove! Und was bist du erwachsen geworden!«
Obschon ihr Haar ins Erdbeerblonde spielte, die Augen ins Moosgrüne und die Gesichtszüge bei Lady Grantham über die Jahre eine trockene Schärfe erhalten hatten, war deutlich zu sehen, dass Cecily ganz nach ihrer Mutter geriet. So wie Leonards Äußeres Rückschlüsse darauf zuließ, wie James Michael Hainsworth, der Earl of Grantham, der sich ebenfalls ganz ohne Dünkel und in Hemdsärmeln zeigte, ausgesehen haben musste, als er im Alter seines Sohnes gewesen war, lange bevor das Sandblond seines Haars an den Schläfen das erste Weiß aufwies.
»Mit Verlaub, Colonel Sir«, Leonard legte einen Arm um Stephen und zog mit dem anderen Grace zu sich heran, »Lady Norbury – darf ich Ihnen die vier entführen bis heute Abend?«
Eine Bitte, die ihm nur zu gerne gewährt wurde, und unter munterem Geplauder brachten Leonard und Cecily ihre Gäste in den linken Flügel des Hauses, in einen Korridor unter einer hohen Decke aus weißem Stuck. Von den holzgetäfelten Wänden blickten Porträts aus vergangenen Jahrhunderten auf die Kommoden mit kostbaren Beschlägen und Schnitzereien herab, beäugten aus ihren schweren Goldrahmen heraus die chinesischen Vasen in Blau und Weiß und in zarten Pastelltönen.
»Schaut mal, wen wir euch mitgebracht haben«, rief Cecily fröhlich aus, als sie von dem roten, mit persischen Läufern bedeckten Teppich durch eine Flügeltür auf die westliche Terrasse traten.
Gemessen an der Größe des Hauses war diese geradezu winzig, und durch die von Geißblatt überwucherten Säulen im griechischen Stil, die die Überdachung trugen, wirkte dieser Ort überaus lauschig. Zwar öffnete sich von hier aus der Blick auf eine parkähnliche Landschaft, an deren Ende zwischen Bäumen und Sträuchern ein Stück Begrenzungsmauer und ein Tor zu sehen waren; dennoch bewahrten
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