Jenseits des Spiegels
Startschuss. Noch bevor ich es richtig realisierte, begann das Spiel schon. Veith schoss als erster davon, die anderen dicht dahinter. Innerhalb von Sekunden stand ich alleine mitten im Wald, und wusste nicht so recht, was ich machen sollte. War das jetzt wirklich ihr ernst? Sie wollten jetzt spielen, nachdem was wir gerade erfahren hatten, und was es bedeutete?
Es dauerte kaum drei Sekunden, da kreuzte Kovu meinen Weg, Julica war ihm dicht auf den Fersen. Ich musste hastig nach hinten ausweichen, um nicht von den beiden mitgerissen zu werden.
Die schwarze Wölfin sprang, warf Kovu um, und kniff ihm mit den Zähnen in den Nacken. Dann war sie auch schon wieder im Unterholz verschwunden. Ein Punkt für sie.
Das sah so witzig aus, dass ich gar nicht anders konnte, als zu lachen. Schade nur, dass ich so den Kleinen darauf aufmerksam machte, dass ich noch hier rumstand, und nicht recht wusste, was ich mit mir anfangen sollte. Kovu dagegen wusste es ganz genau. Er nahm mich ins Visier. „Oh scheiße.“ In Sekundenbruchteilen sprintete ich los, rannte mitten hinein in ein Dickicht. Kovu blieb mir auf den Fersen.
Die Erregung der Jagd ergriff von mir Besitz, und ich spürte das vertraute Adrenalin, sich in meinen Blutkreislauf breit machte. Er würde mich nicht kriegen, dafür würde ich sorgen.
Als ich an ein paar Bäumen vorbeikam, hörte ich Tyges verärgertes Grollen. Er war wohl gerade von jemand erwischt worden. Kurz glaubte ich das rote Fell von Pal zwischen den Büschen vorbeihuschen zu sehen. Kovu holte auf, schon ein siegreiches Funkeln in den Augen. Das konnte er ja gleich mal vergessen. Er war nicht der erste Werwolf, der versuchte mich zu fangen, damit hatte ich schon Erfahrung, und genau wie den anderen würde ich ihm zeigen, was es bedeutete, einer Katze auf den Fersen zu bleiben. Gespannt wartete ich bis er sprang, passte genau ab, wie sich seine Muskeln anspannten, um mich unter sich zu begraben, dann sprang auch ich, direkt auf den nächsten Stamm zu, stieß mich dort mit den Beinen an der trockenen Rinde ab, bekam einen tiefen Ast zu fassen, und zog mich hoch. Ausmanövriert!
„Hey!“, beschwerte sich Kovu, und stoppte hastig, bevor er mit dem Baum kollidierte. „Das ist gegen die Regeln!“
Ich lächelte zu ihm hinunter. „Was erwartest du? Ich bin eine Katze, und Katzen klettern auf Bäume. Wenn du durch einen Fluss waten würdest, müsste ich auch hinterher, und glaub mir, Wasser ist das letzte was ich in meinem Fell haben möchte.“
Er verzog das Gesicht. „Komm runter.“
„Okay, aber gib mir einen Vorsprung. Du hast zwei Beine mehr als ich, du bist schneller.“
Wachsam trat er ein paar Schritte zurück, ließ mich dabei aber nicht aus den Augen.
Als ich mich auf den Boden gleiten ließ – obwohl gleiten hier wohl der falsche Ausdruck war. Meine Landung hatte eher etwas von einem Plumpsack –, achtete ich auf jede seiner Regungen, um bei der kleinsten Bewegung sofort reagieren zu können. Doch die Gefahr kam von ganz unerwarteter Seite. Ich hatte den Boden kaum berührt, da schoss Veith aus dem Gebüsch, und warf mich auf den Rücken. Ich landete mit einem „Uff“, viel zu erstaunt über diesen plötzlichen Überfall, als mehr zu tun, als einfach nur dazuliegen. Veith schob die Nase unter mein Kinn, und knabberte vorsichtig an meiner Kehle, was mein Herz dazu veranlasste, mit dem dreifachen der jetzigen Geschwindigkeit weiterzuschlagen.
Er richtete sich auf, sah auf mich herunter, in seinen Augen Triumph und Aufregung. Das Fieber der Jagt. Ich schob die Hand in seinen braunen Pelz, der mich an Vollmilchschokolade erinnerte, fühlte sein Herz, das mit der gleichen Geschwindigkeit raste wie meines.
„Da war es nur noch einer“, flüsterte er, und sprang von mir herunter. Ich sah wie er Kovu jagte, um das Spiel siegreich zu Ende zu bringen.
°°°
Man, das Leben konnte so schön sein. Und wenn die Wölfe ihre Spielchen mal einstellten auch so entspannend.
Nachdem wir durch den Wald getobt waren – mehrere Runden lang, aus denen einmal Tyge, und vier Mal Veith als Sieger hervorgegangen waren –, hatten die Wölfe etwas erlegt, das dem Namen nach ein Hirsch sein sollte. Es hatte aber nur entfernt Ähnlichkeit mit majestätischem Geschöpf, das ich mit diesem Wort verband. Diesem Ding ragten zusätzlich zum Geweih auf dem Kopf noch Stacheln aus dem Rücken, die gemeingefährlich aussahen. Es hatte drei lange Schwänze, mit denen es wie mit Peitschen durch die
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