Jenseits des Spiegels
wusste ich wie vielen Jahren im Zölibat, und ich hatte mich ihm praktisch an den Hals geworfen, da waren die Triebe einfach mit ihm durchgegangen. Welcher Kerl konnte zu so einem Angebot schon nein sagen?
Mist, diese Gedanken machte es mir auch nicht gerade einfacher. Ich versuchte ihn, und alles was in der letzten halben Stunde geschehen war, aus meinem Kopf zu verbannen, und ließ die Katze in mir raus. Die Magie lief über meine Haut, wandelte mich in ein Zwischenwesen, das es so noch nie gegeben hatte – zumindest nicht wenn ich Gaares Worten Glauben schenkte. Zwar würde mich das Fell nicht von meinen Gefühlen befreien, aber es bot mir einen gewissen Schutz vor neugierigen Blicken. Ich konnte mich dahinter verstecken, und wenn ich keinem so genau in die Augen sah, würde auch niemand merken, dass ich verheult war. Kein guter Plan, aber einen besseren hatte ich im Augenblick nicht. Ein letztes Mal wischte ich mir übers Gesicht, und machte mich dann zur Schlucht auf.
Um nicht an Veith denken zu müssen, zählte ich meine Schritte. Es klappte nur mit mäßigem Erfolg. Erst als ich an der Schlucht ankam, und den kleinen, weißen Wolf in Julicas Schnauze baumeln sah, konnte ich mich auf etwas anderes konzentrieren, aber nur bis ich merkte, dass Veith noch nicht eingetroffen war – also ganze zwei Sekunden.
Tyge richtete sogleich seinen Blick auf mich. „Wo ist mein Sohn?“
Ich konnte nur hilflos mit den Schultern zucken, und schnell den Blick abwenden, bevor jemand mitbekam, dass meine Augen schon wieder undicht wurden.
Tyge knurrte etwas, und zog dann seinen jüngsten auf die Beine. „Ich will, dass ihr ohne Umwege ins Lager geht.“
„Ja, das hast du bereits gesagt.“
„Keine Alleingänge.“ Er nahm seinen Sohn genau ins Visier. „Das meine ich ernst.“
„Ich habe es verstanden, schon bei den ersten fünf Malen“, grummelte der Kleine, und trat zu mir, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Viel Glück.“
Etwas perplex runzelte ich die Stirn. „Ist mir irgendwas entgangen?“
„Papá schickt mich zurück ins Lager, hier wegen.“ Er zeigte auf seinen verbundenen Kopf. „Julica soll den Aufpasser spielen.“
Und wieder brachen die Schuldgefühle über mir zusammen. Nur wegen mir, wurde er nun zurückgeschickt. Klar, er hätte eigentlich gar nicht hier sein dürfen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er wegen mir weggeschickt wurde. Okay, ich wusste, dass ich nicht direkt etwas für seine Verletzung konnte, andererseits waren wir nur wegen meiner Vermutungen unterwegs gewesen – die noch dazu vielleicht falsch waren. Ohne mich wäre keiner von diesen Wölfen heute hier.
„Hey, guck nicht so.“ Der Kleine zog mich in eine knochenbrecherische Umarmung, und strich mir dann in einer vertrauten Geste über die Wange. „Ihr seht zu, dass ihr den Bösewicht den Arsch aufreißt, und ich werde mich trollen, und artig mit Julica und der Kleinen ins Lager gehen, wo ich mir meine Strafe bei Prisca abhole, und mich anschließend von meinen Großmamás gesundpflegen lasse.“ Er lächelte schief. „Und nur damit du es weißt, ich glaubte du hast Recht, Anwar war es.“
Das ließ ein kleines Lächeln in meinem Gesicht entstehen, das sofort schwand, als Veith auf die Lichtung trat. Ich murmelte noch ein schnelles „komm gut nach Hause“, dann machte ich hastig kehrt, und lief eilig in den Wald.
Vielleicht war es feige, dass ich mich einfach so aus dem Staub machte – was hieß hier vielleicht, ganz sicher sogar! –, aber ich konnte dem großen, bösen Wolf im Augenblick nicht unter die Augen treten, das war im Moment einfach zu viel verlangt. Nachher wieder, wenn ich mich richtig gefasst hatte, aber jetzt brauchte ich einfach ein wenig Zeit für mich allein, um über alles nachzudenken.
Ich nahm Anlauf, und sprang in den nächsten Baum.
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Tag 72
Die erste Sonne schickte sich bereits an, am Horizont aufzugehen, und verteilte flüchtige Strahlen über die nächtliche Dunkelheit. Ich starte in ihr schummriges Zwielicht, und versuchte in der Ruhe des Morgens Frieden zu finden – vergeblich. Mein Schädel brummte, und dunkle Ringe zierten meine Augen, weil ich die ganze Nacht nicht hatte schlafen können. Daran war weniger die Tatsache schuld, dass ich hoch oben im Baum genächtigt hatte, als mehr mit dem hellbraunen Wolf dort unten, der sich in einem Knäul neben Pal und Tyge zusammengerollt hatte. Ich hatte die Nach einfach nicht bei ihnen schlafen
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