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Jenseits des Spiegels

Jenseits des Spiegels

Titel: Jenseits des Spiegels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Markstoller
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machst du da?!“
    Ich beachtete ihn nicht, schritt langsam weiter, bis mich kaum noch ein Meter von der Riesenechse trennte. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich einen Drachen von nahmen. Seine Schuppen waren so groß, wie meine ganze Handfläche, und wurden zur Schnauze hin immer kleiner. Er hatte geschwungene Hörner auf den Kopf, und einen lagen Hals. Seine klauenähnlichen Pranken waren so groß, dass er darunter locker einen Menschen begraben konnte – was er auch getan hatte –, und über seinen Rücken zog sich ein Kamm aus Stacheln. Selbst jetzt noch, am Rande des Todes, zerfetzt, geschunden, zerstört, mit rasselndem Atem, und gebrochenem Blick, was er das schönste Wesen, dass ich jemals gesehen hatte.
    Einst mussten seine riesigen Schwingen atemberaubend gewesen sein, doch jetzt waren sie nur noch ein blutiges, zerrissenes Überbleibsel, das in ledrigen Fetzen von den Knochen hing. Die Erde um den Drachen herum war aufgewühlt, und Rostrot, und aus zahlreichen Verletzungen sickerte unaufhaltsam das Blut. Seine Schnauze war bis auf den Knochen aufgerissen – Pals Werk, weil ich die falschen Entscheidungen getroffen hatte.
    Ob es nun die Verzweiflung in mir war, die mich trieb, oder einfach nur geistige Umnachtung, ich streckte meine Hand aus, und legte sie ihm in einer beruhigenden Geste zum Trost auf die Schnauze.
    „TALITA!“
    Wieder Veith.
    Der Blick des Drachen fokussierte sich, und richtete sich auf mich.
    „Es tut mir so leid“, flüsterte ich, und konnte nur hoffen, dass ein solches Wesen so viel Güte besaß, um mir zu verzeihen. Eine erste Träne kullerte mir wie eine Perle über die Wange. „Es tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin.“
    Der Drache gab einen singenden Laut von sich, der mich bis ins Herz traf, schoss die Augen, und dann wich alles Leben aus ihm heraus, und ich konnte nichts weiter tun, als neben ihm zu stehen, und um dieses sinnlos verlorene Leben zu trauern.
    Ich merkte kaum, wie mich eine vertraute Hand an der Schulter berührte, und Veiths Stimme leise auf mich einredete. Ich sah nur meine Hand durch den Tränenschleier, die unablässig über das warme Schuppenkleid des jungen Drachen strich. Das war alles so sinnlos. Warum nur hatte ich nicht schon früher die richtigen Schlüsse gezogen, dann wäre alles ganz anders gekommen, dann hätten wir für etwas unternehmen können, und dieses Drama wäre nie geschehen. Meine Schuld, alles meine Schuld.
    Ein mehrstimmiges Knurren lenkte meine Aufmerksamkeit hinüber zu den Wölfen an den Waldrand. Sie alle hatten ihre Gesichter nach oben zu den Felsenklippen gerichtet, und als ich ihnen folgte, stockte mir der Atem. Dort oben am Rand, im schimmernden Licht der Mittagsonnen, saßen vier Drachen, dreimal so groß wie der Grüne auf dem Boden. Ihre Blicke waren auf den Grünling gerichtet, ganz starr, als lauerten sie auf etwas. Keiner von ihnen rührte sich, nur das warnende Grollen der Wölfe lag in der Luft. Im Hintergrund am Horizont flogen zwei weitere Drachen in unsere Richtung, glitten lautlos durch die Luft. Dieser Anblick war atemberaubend.
Du musst wissen, wenn ein Drache stirbt, wird er von den anderen bewacht, bis sein Körper zu Staub wird. Dann nehmen sie sein Herz und verstecken es.
Das hatte Erion einmal zu mir gesagt, deswegen waren die Drachen gekommen. Sie wollten das Herz eines Drachen beschützen.
    Die Totendwache begann damit, dass einer der Riesen seinen Kopf in den Nacken schmiss, und anfing zu singen. Der Ton war so durchdringend, dass er mich bis tief in mein Innerstes traf. Ein Zittern durchlief meinen Körper. Die anderen drei Drachen stiegen in den Gesang mit ein, und röhrten in Tönen, die ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört hatte. Es war das schönste, was mir jemals an die Ohren gedrungen war, und gleichzeitig auch das traurigste.
    Veith Griff um meine Schulter verstärkte sich. „Lass uns gehen, langsam.“
    Verwirrt sah ich ihn an. Warum wollte er jetzt gehen?
    Die beiden Drachen am Himmel fielen so plötzlich vom Himmel, dass ich im ersten Moment glaubte, sie würde abstürzen, aber nein, sie hatten ein Ziel. Haarscharf stürzten sie unter dem Gesang der anderen an der Felswand entlang. Einer der Riesenechsen streifte mit dem Knochenende seine Schwanzes das Gestein, und haute ein paar große Felsbrocken heraus, die den Abhang hinunterrollten … genau auf Tyge zu.
    Schon bevor ich den Warnruf ausgestoßen hatte, war er zur Seite gesprungen, und aus der Spalte, vor der er

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