Jenseits des Tores
belogen«, sagte er Salvat auf den Kopf zu.
»Nein.«
»Dann hast du ihnen nicht die ganze Wahrheit gesagt.«
»Das macht einen Unterschied.«
»Und nun belügst du dich selbst.« Adrien sagte es mit einem stillen Lächeln, das jedoch nicht über seine Sorge hinwegtäuschte. Sie füllte seinen Blick mit Schatten, und seine Stimme selbst klang schwer von Ernst.
»Damit muß ich leben«, antwortete Salvat im Weitergehen.
»Laß mich dir zur Seite stehen, Salvat«, hielt Adrien ihn auf.
Der Großmeister verhielt ein weiteres Mal und drehte sich um. Sein Ton war beinahe beschwörend, als er zu Adrien sprach: »Dein Platz ist bei den Brüdern, alter Freund. Du sollst sie lehren, und eines Tages wirst du sie vielleicht führen müssen - wenn .«
»... wenn es dich nicht mehr gibt?« vollendete der Alte.
»Wenn ich für andere Aufgaben abberufen werde«, korrigierte Sal-vat, aber es klang, als würde er dasselbe nur mit anderen Worten ausdrücken.
»Welcher Art sollen diese Aufgaben sein?«
»Du wirst es erfahren, wenn es an der Zeit ist.«
Adrien sah den Freund und Herrn eine Weile schweigend an. Sein Blick forschte in den steinernen Zügen Salvats, denen auch die Erschöpfung nichts von ihrer herben Wirkung nehmen konnte. Obwohl sie starr wie tatsächlich aus Stein gemeißelt aussahen, schien Adrien in ihnen zu lesen wie in einem Buch.
»Du fürchtest, diese Zeit könnte nahe sein.« Es war keine Frage; Adrien stellte nur fest.
»Ich fürchte mich nicht«, erwiderte Salvat hart und leidenschaftslos.
Adrien nickte. »Ich weiß.« Und mit einem bitteren Lächeln fügte er hinzu: »Denn auch du bist nicht frei von Fehlern.«
Wortlos wandte Salvat sich um und entfernte sich in einer Art, die den Eindruck erweckte, als würde er vor etwas fliehen.
Sein Weg führte ihn von neuem in die Tiefe des Felses hinab. Über zahllose Treppen und durch endlos scheinende Tunnel eilend, erreichte er schließlich die Innere Halle. Den Ort, an dem sich das befand, was in der Bruderschaft auch Das Heiligtum genannt wurde.
Das Tor.
Haushoch ragte es jenseits der Felssäulen auf, die die Decke des gewaltigen Domes stützten. Die beiden riesigen Flügel aus dunklem Holz waren geschlossen, durch Riegel, Schlösser und Siegel verschlossen. Wie Metall schimmernde Nieten schufen sinnverwirrende Symbole auf dem Portal, und ihre Macht sicherte es zusätzlich.
Aber es war nicht das Tor, weswegen Salvat hierher gekommen war. Es berührte seine Gedanken nur insofern, als er daran dachte, daß er den Kreis der Wächter erneuern mußte, nachdem die zwölf Brüder unter der Macht des Kindes gestorben waren.
Der eigentliche Grund seines Hierseins war jedoch der Gefangene, den er in flammende Ketten geschlagen zurückgelassen hatte. Zusammen mit einer Gefährtin war er ins Kloster eingedrungen. Sie waren einem weiteren Eindringling gefolgt, der unter den Brüder blutig gewütet hatte. Dieser Mörder und das Weib, das Salvat aus Visionen kannte, waren verschwunden gewesen, als er selbst hier unten angelangt war. Die Macht jenseits des Tores mußte sie gefressen haben.
Zurückgeblieben war nur jener, der in die Gestalt eines Adlers zu schlüpfen vermochte - ein dem Anschein nach junger Bursche mit langem schwarzen Haar und indianischen Zügen. Salvat hatte ihn zwingen wollen, von hier zu verschwinden, doch der andere hatte sich geweigert. In der Hoffnung, daß er noch zur Besinnung kommen mochte, hatte Salvat ihn hier unten zurückgelassen, um sich seiner später erneut anzunehmen.
Doch nun, als er eben dies tun wollte, konnte er es nicht.
Denn der Gefangene war verschwunden!
Diese Tatsache allein hätte nie und nimmer das Entsetzen geweckt, das Salvat in sich aufsteigen spürte. Das Gefühl gründete vielmehr in dem, was er mit seinen feinen Sinnen wahrnahm. Eilends schützte er sich vor dem fremden Einfluß.
Etwas war von jenseits des Tors herübergelangt! Das allermeiste dieser unheiligen Macht hatten die Zwölf zwar in sich aufgenommen, aber ein kleiner Rest war geblieben, als hätte er sich mit unsichtbaren Klauen im Fels verkrallt.
Und nun war diese finsteren Macht fortgetragen worden, hinweg über die Mauern des Klosters - und hinaus in die Welt.
Entflohen auf Adlerschwingen .
*
Virgil Codd!
Lilith »las« in der Seele, die wie ein Sturm in sie kam, und erkannte sie.
Codd war der Polizeipräsident von Sydney gewesen - und eine Dienerkreatur der dortigen Vampirsippe. Unmittelbar nach Liliths Erwachen in ihrem Geburtshaus an
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