Jenseits des Tores
entgegnete Salvat knapp. Dann fragte er: »Hast du ihn gesehen?«
Er hatte das Band zwischen ihnen kraft eines Gedankens gekappt. Die rothaarige Schöne nahm die gespreizte Hand von seiner Stirn und seinen Schläfen, als der Kontakt erlosch, und nickte.
»Ich habe es in deiner Erinnerung gesehen. Und ich kann es kaum erwarten, diesen Burschen zu finden. Er sieht - phantastisch aus.« Ihre Stimme klang rauchig, ohne verrucht zu sein. Es schwang nur ein ganz sanft kratzender Unterton darin mit. Ihrem Lächeln wohnte etwas Raubtierhaftes inne, ohne daß es bedrohlich gewesen wäre.
Salvat erwiderte es auf eine Art, die außerhalb dieser Mauern vielleicht als verwegen gegolten hätte. »Das ist nicht der Grund, weshalb du ihn suchen sollst.«
»Und warum soll ich es tun?«
Salvat hätte sich in seiner Antwort auf ein knappes »Weil ich es dir befehle!« beschränken können, doch es war nicht seine Art, die Gesandten solcherart abzufertigen und auf den Weg zu schicken.
»Er ist der Bote einer Macht, deren Saat nicht aufgehen darf in dieser Welt«, sagte er statt dessen.
Die Dunkeläugige trat einen Schritt zurück und begann dann, in der Kammer auf und ab zu gehen. Selbst ihre Art, sich zu bewegen, hatte etwas Katzenhaftes. Das leise Knirschen des Leders ihrer Kleidung und ihre Schritte waren für eine Weile die einzigen Geräusche.
Salvat störte die Gesandte nicht. Er wußte, daß sie die Informationen, die sie aus seinen Gedanken empfangen hatte, sichtete und ordnete. Und er beglückwünschte sich im stillen zu der Vorsichtsmaßnahme, jeden Gedanken, der nicht einzig den entflohenen Gefangenen betraf, vor ihrem Zugriff abgeschirmt zu haben. Denn niemand mußte erfahren, daß er Vater eines Sohnes war - gewesen war ...
»Die Informationen sind dürftig«, sagte die Gesandte schließlich.
»Mehr kann ich dir nicht anbieten, Enya«, erklärte Salvat. »Aber ich habe nicht ohne Grund dich für diese Suche auserkoren.«
»Du meinst ...?«
Salvat nickte. »Er scheint kein - Mensch zu sein.«
»Du glaubst, er sei ein ...?« hakte Enya nach, ohne das entscheidende Wort auszusprechen. Salvat konnte sich nicht erinnern, es auch nur ein einziges Mal von ihr gehört zu haben. Sie haßte das bloße Wort - und alles, was ihm anhaftete ...
»Einer von jenen, die sich die Alte Rasse nennen«, sagte Salvat. Das flüchtige Verzerren ihrer Züge entging ihm nicht.
»Aber ...«, erwiderte die Gesandte,». er verwandelte sich in einen Adler, nicht in eine Fledermaus.«
»Ergründe sein Geheimnis, wenn du ihn gefunden hast«, meinte Salvat.
Finstere Entschlossenheit schwärzte das Dunkel in Enyas Augen. Doch es stoben winzige Funken darin, und Salvat wußte, daß sie aufstiegen aus einem Feuer, das einzig von Haß geschürt wurde.
»Und wenn ich das getan habe?« fragte die Gesandte.
»Dann töte ihn!« befahl Salvat.
*
Sich selbst bekämpfen, ist der allerschwerste Krieg. Friedrich von Logau Lilith brannte in ihrem ganz eigenen Fegefeuer! Doch weder verbrannte sie noch verging sie. Sie starb nur, wieder und wieder, ohne den eigenen Tod zu erreichen. Längst war Lilith nicht mehr in der Lage zu zählen, wie viele verdammte Seelen sich mittlerweile um das Recht stritten, sie peinigen zu dürfen. Aber jede brachte etwas auf furchtbare Weise Vertrautes mit.
Nur eine vermißte Lilith fast. Jene, von der sie gefürchtet hatte, sie würden allerärgsten Schmerz in ihrem Körper abladen. Weil Lilith mit ihr am übelsten umgesprungen war. Nach langer Freundschaft hatte die Halbvampirin die Freundin - die einzige, die sie je besessen hatte - mit eigenen Händen getötet.
Doch von der Seele Beth MacKinseys empfing Lilith nicht die geringste Spur. Als hätte es Beth nach ihrem Tod nicht an diesen Ort verschlagen. Als wäre sie nicht verdammt worden ...
Lilith konnte diese Möglichkeit kaum glauben. Gerade Beth wäre ein prädestiniertes Opfer gewesen für diesen Ort hier, der nichts anderes sein konnte als .
Ihr Gedanke zerstob unter dem neuerlichen Ansturm der fremden Kräfte. Sie wüteten in ihrem Körper und Geist. Beides war längst zu einem Schlachtfeld geworden, auf dem Gewalten tobten, die jeden wirklichen Krieg in den Schatten stellten. Lilith meinte, das Leid, das alle Kriege der Menschheit je hervorgebracht hatten, in sich zu spüren. Doch zugleich wußte sie, daß es so nicht war. Was da in ihr wütete, war »nur« die Pein jener, die sie in ihren ganz persönlichen Krieg hineingezogen hatte. In einen Krieg, der
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