Jenseits des Tores
sie ohne Gnade.
Nein, kein Zweifel! Sie mußten ausgelöscht werden! ALLE! Und so hob er den Pflock und tat einen weiteren Schritt.
Todesangst überfiel den Vampir, verzerrte seine Züge, ließ seinen Körper erzittern, als er seine Hände flehentlich vorstreckte, seinem Henker entgegen.
»Warte!« Seine Stimme, die so viele Menschen lachend in den Tod begleitet hatte, war weinerlich, als er versuchte, um sein erbärmliches, unnatürliches Leben zu betteln.
»Was willst du noch? Du kannst deinem Schicksal ohnehin nicht entkommen!« Der Jäger war es leid, noch länger zu warten.
»Ich weiß.« Der Vampir kauerte sich noch tiefer in die Schatten in dem vergeblichen Versuch, dem Licht zu entrinnen. »Ich möchte nur wissen, warum du meine Art tötest!«
»Warum?« Nun war der Jäger in seinem Element. »Du wagst es wirklich, das zu fragen?« Er schüttelte den Kopf, bevor er weitersprach. »Ich will es dir sagen: Ihr seid es, die uns töten! Ihr lebt unter uns! Ihr tut so, als wäret ihr unsereins, und doch sind wir nichts weiter als Nahrung für euch!«
Der Vampir schien zu überlegen, dann nickte er. »Ja, das stimmt.«
Die Augen des Jägers weiteten sich ungläubig. »Du gibst es zu?«
»Natürlich! Du hast recht mit dem, was du sagst, und warum sollte ich es abstreiten?« Der Vampir nahm die Hände herunter, als er fortfuhr: »Es ist unsere Natur, das zu tun, unsere Bestimmung, wenn du so willst. Wir wurden so geboren.«
»Ihr werdet . geboren?« Diese Behauptung verwirrte den Jäger sichtlich, und der Vampir gestattete sich ein kleines Lächeln.
»Siehst du; das ist euer Problem! Ihr wißt so wenig, und ihr tut den Teufel, mehr über uns herauszufinden als eine Methode, wie ihr uns töten könnt. Aber so seid ihr Menschen. Macht euch die Erde Un-tertan!<«
Der Jäger wollte widersprechen, doch er wurde unterbrochen.
»Ihr habt es schon immer prächtig verstanden, euch alles so zurechtzulegen, wie es euch am besten paßt. Ihr seid nicht so stark, wie ihr denkt. Ihr habt nur mehr Angst als alle anderen, weil ihr tief in euch um eure Schwäche wißt. Und deswegen vernichtet ihr alles, was auch nur den leisesten Eindruck erweckt, es könnte euch euren Thron streitig machen.«
Er machte eine kurze Pause, in der er sich vom Boden erhob.
»Ja, ich weiß! Keiner gibt gern den Platz an der Spitze der Nahrungskette auf! Aber es ist nicht die Stärke, die euch treibt, sondern eure Paranoia! Ihr erdreistet euch, Richter sein zu wollen über alles, was neben euch existiert, was nur leben will!«
Der Vampir trat auf den Jäger zu, der stumm und bis ins Innerste erschüttert seinen Worten lauschte.
»Die Natur gab euch eine Chance, und die habt ihr vertan! Und jetzt stellt ihr euch der Evolution in den Weg, verwehrt ihr die Möglichkeit hin zu etwas Neuem!« Die letzten Worte spie der Vampir dem völlig konsternierten Jäger förmlich ins Gesicht.
»Ihr seid so blind ...« Mit einer blitzschnellen, kaum wahrnehmbaren Bewegung packte der Vampir den Kopf des Jägers und brach das Genick mit einem einzigen, knirschenden Ruck!
Eine Weile hielt er den zuckenden Körper in seinen Armen, bevor er ihn fast sanft auf den staubigen Boden bettete. Sachte strich er eine Haarsträhne aus dem Gesicht des Sterbenden und blickte nachdenklich in die Augen, aus denen flackernd das Leben erlosch.
». .. und so einfältig!«
Dann schloß er die Augen des Toten, klopfte sich sorgfältig den Staub von der Kleidung, und ein leises Lachen stahl sich über seine Lippen, als wolle es den Tod verhöhnen. »Kaum zu glauben. Das funktioniert doch immer wieder .«
Als er die Tür öffnete, sich seine Sonnenbrille aufsetzte und ins helle Licht des Tages trat, blieb der Raum hinter ihm still zurück, nur erfüllt vom Tod und der Ahnung eines Lachens.
© Andreas Gröger, Rosenweg 5, 35582 Wetzlar
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