Jenseits des Tores
Dornengestrüpp überwuchert da, weil die Horden selbst Pferde und Ochsen niedergemacht hatten, so daß die Äcker nicht mehr bestellt werden konnten. Denn um die Pflüge von Hand zu bewegen, dazu fehlte es zum einen an Männern, und den wenigen, die die Mordlust der Plünderer überlebt hatten, an Kraft.
Die kaiserliche Armee des Generals Holk hatte den »Menschenwürger« vor beinahe zwei Jahren aus dem pestverseuchten Sachsen ins Fürstentum Bayreuth eingeschleppt. Und seither war man der Pest in der Gegend nicht Herr geworden. Nicht einmal die schlimme Kälte jenes Winters 1633/34 hatte sie zum Erlöschen gebracht. Und so gerieten noch heute, in der zweiten Hälfte des Jahres 1635, fast täglich neue Opfer in den Griff der Seuche, weil in kaum einem Leib noch genug Kraft war, sich ihrer zu erwehren. Der Krieg und seine Folgen hatten das Volk ausgezehrt, und nun füllte der Krieg sie mit all den unseligen Gaben, die er mit sich führte.
Ein Lächeln von abseitiger Zufriedenheit spielte um die bleichen Lippen der Frau. Doch es hielt nur solange vor, bis sie den Kopf durch den Spalt in der Plane des Ochsenkarrens zurückzog. Als ihr Blick dann wieder ins dämmrige Innere des Karrens fiel, der ihre Wohnstatt war, verschwand das Lächeln wie fortgewischt, und ein sorgenvoller Ausdruck trat in ihre verhärmten Züge.
Das Elend und den Tod draußen zu schauen, wo sie andere betrafen, bereitete ihr wohlige Lust. Hier drinnen jedoch, wo beides sie selbst anging, machte ihr der Anblick das Herz schwer.
Das Gesicht des Mädchens auf dem Strohlager vor ihr leuchtete im Zwielicht weiß wie der Mond am Nachthimmel. Dunkle Ringe lagen um die geschlossenen Augen und ließen die Höhlen wie leer wirken. Hätte nicht Fieber den mager gewordenen Leib fortwährend geschüttelt, und hätte ihm der Schmerz nicht keuchende Atemzüge von den Lippen gerissen, es hätte schon für tot gelten können.
Doch es konnte nur noch eine Frage ganz kurzer Zeit sein, bis der Schnitter das Mädchen zu sich nahm.
Die Frau kroch näher an das Lager und sah auf die Kranke hinab. Eine Schönheit war sie bis vor kurzem noch gewesen, gerade am Anfang der Blüte ihres Lebens stehend. Zuhauf hatte sie den Kerlen, überall, wohin ihr Weg sie führte, die Köpfe verdreht, Zwietracht gesät unter Weibsleuten wie Mannsbildern.
Schön wie ihre Mutter einst war sie gewesen. Und nicht minder verdorben ...
Die Frau lächelte selig in Erinnerung an diese Zeit, derweil sie den Blick nicht von ihrer Tochter ließ.
Der Krieg selbst und die Not des Volkes waren das Brot derer, denen sie beide zugehörten. Den Soldaten verkauften sie Waren, den Leuten versprachen sie Hilfe durch allerlei geheime Künste, die sie vor den Kriegsgreueln schützen würden - freilich gegen bare Münze oder wenigstens doch Naturalien. In Notzeiten wie diesen gedieh der Aberglaube gar prachtvoll, und das Volk griff nur allzu bereitwillig nach jedem Halm, der Rettung versprach, mochte das Angebot auch noch so absonderlich sein.
Von offizieller Seite aus sah man dieses Treiben gar nicht gern, aber man duldete es, wohl auch, weil andere Probleme drängender waren. Und so konnte das so geheißene »Ziegäuner-Gesindel«, was sich von »umherziehenden Gaunern« herleitete, weitgehend ungestraft seinen Nutzen aus dem Kriege ziehen.
Es gab diese Banden zuhauf, doch keine andere mochte sich solcherart am Kriegstreiben ergötzen wie jene, die gerade oberhalb des Städtchens Helmbrechts im Bayreuther Fürstentum lagerte. Sie fühlten sich den Greueln in besonderer Weise zugetan, wohl weil sie zu den wenigen zählten, die wußten, wer den Boden für das Grauen bereitet hatte.
Alle anderen Banden mochten mehr oder minder ziellos umherziehen. Sie aber folgten der Spur des Tiergeborenen selbst und aalten sich schier in dem, was er hinterließ .
Die Frau strich sanft über die fieberheiße Wange ihrer Tochter. Das Mädchen war ganz am Anfang des Krieges geboren worden, auf Boden, den der Dreigestaltige selbst betreten hatte. Deshalb hatte die Frau ihr Kind stets als etwas ganz Besonderes erachtet, und ganz in diesem Sinne hatte sich das Mädchen auch entwickelt.
Nie und nimmer hätte sie geglaubt, daß eine Krankheit dem Kind etwas anhaben könnte. Und doch war es geschehen. Einer der Kerle in der Gegend, der ihrem verdorbenen Zauber erlegen war, hatte mehr als nur seine Lust in sie entlassen. Die Pest hatte er dem Mädchen gebracht!
Die Frau lächelte dunkel, als sie daran dachte, wie er
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