Jenseits des Tores
nichts anderes gewesen war als ihr Leben.
Ihr Leben, das sich nun immer wieder dem Ende zuneigte und doch stets dann, wenn es die letzte Barriere überwinden wollte, zu-rückgezerrt wurde von Dutzenden substanzloser Klauen.
Dennoch - wenn Lilith eben noch an Krieg gedacht und ihr Schicksal mit diesem Begriff belegt hatte, so hatte sie sich geirrt.
Denn der wahre Krieg begann erst -- in dieser Sekunde!
Als ein neuer Krieger das Schlachtfeld, zu dem ihr Leib und ihre Seele geworden waren, betrat.
Das Wesen, welches das Beben des Staubmeeres aus der Tiefe dieser Welt entlassen hatte, stürzte sich in Lilith. Und augenblicklich begann es zu wüten mit einer Macht, als steckten die Kraft und Gewalt eines ganzen Heeres in ihm!
*
Lilith glaubte, ihr Innerstes würde zerrissen unter dem stummen Aufschrei aus den ungezählten Kehlen jener, die sich ihr Innerstes erobert hatten. Weit öffnete sie den Mund und schrie selbst - mit den Zungen all derer, die in ihr schrien. Ein vielstimmiges Kreischen und Heulen drängte über ihre Lippen und schien nie mehr verstummen zu wollen.
Das zuletzt erschienene Seelenwesen, jenes machtstrotzende und spürbar andersgeartete, stieß wie ein Berserker in das gestaltlose Wimmeln der anderen. Obschon dieses Wesen seinen eigenen Schmerz nicht auf Lilith übertrug, empfing sie doch unweigerlich einen Hauch davon, als es an ihrem eigenen Ich vorüberstrich. Aber es teilte definitiv nicht die Absicht der anderen, Lilith unter Schmerzen zu begraben.
Obwohl auch dieses andere Wesen allen Grund dazu gehabt hätte, sich an der Halbvampirin zu rächen.
Denn sie erkannte auch diese Seele. Aber der, dem sie einst inne-gewohnt hatte, war schon zu Lebzeiten auf vielfältige Weise anders gewesen.
Lilith erinnerte sich, daß die Macht dieses anderen Wesens schon einmal eine Welt hatte untergehen lassen. Eine Welt, die zwar nur eine Vision gewesen war, die ihr aber doch ums Haar zum Verhäng-nis geworden wäre, hätte sich jener andere nicht für sie geopfert ...
Nichts anderes tat er auch jetzt und hier. Mit Kräften, die des Körperlichen nicht bedurften, griff das Wesen nach den anderen, packte sie, schlug sie. Er fügte ihnen Schmerzen zu, die jene übertrafen, die sie schon zur Genüge kennengelernt hatten.
Und Lilith hatte an allem teil .
Irgendwie bekam sie mit, daß Staub um sie her aufwölkte. Wieder und wieder. Immer dann, wenn ein Körper, der wieder Substanz erlangt hatte, in ihrer Nähe zu Boden schlug, nachdem die Macht des anderen ihn aus Liliths Leib vertrieben hatte.
Irgendwann, nach einer Ewigkeit, war es vorbei.
Duncan Luthers Seele war die letzte, die der andere aus Lilith verbannte. Mit einem Heulen fuhr sie aus. Lilith sackte in sich zusammen wie eine Hülle, die allen Inhalts beraubt worden war. Sie sah sich selbst auf einer nachtfarbenen Klippe liegen, nur Zentimeter von einem endlosen Schlund entfernt, der den Tod symbolisieren mußte. Doch sie fand nicht die Kraft für die geringe Bewegung, der es bedurft hätte, um sich über den Rand der Klippe zu wälzen und in den erlösenden Abgrund zu stürzen. Obgleich sie es von Herzen gern getan hätte.
Nach einer Weile begannen ihre Lider wie von selbst zu flattern und sich schließlich zu öffnen. Und im allerersten Moment, in dem ihr Blick in die Wirklichkeit zurückfand, lag sie tatsächlich auf schwarzem Fels, eine Handbreit entfernt von jener finsteren Schlucht. Erst ihre sich erneut senkenden Lider schienen dieses Bild auszulöschen, und beim nächsten Hinsehen fand Lilith sich dann inmitten des mehligen Staubes wieder, aus dem sich in ihrer Nähe das Tor erhob wie aus den Wogen eines erstarrten Ozeans.
Doch nicht überall war die Wüste ohne Bewegung. Hie und da zogen sich die Kreaturen, die sie gequält hatten, zurück in die Tiefe.
Nur eine blieb.
Jenes Wesen, das zuletzt gekommen war und das Lilith befreit hat-te von all den anderen. Es kauerte zwischen ihr und dem Tor, und sein Anblick unterschied sich von dem, den die anderen geboten hatten.
Dennoch schnitt auch er wie eine glühende Klinge durch Liliths Herz. Denn auch dieses Wesen war ihr vertraut, und eine vage Ähnlichkeit zu seiner früheren Hülle war vorhanden. Er erschien ihr als hohlwangiger, weißhäutiger junger Mann, der doch zugleich uralt wirkte, ausgemergelt und müde. Sein Haar war schwarz und strähnig, seine Augenhöhlen gefüllt nur mit Finsternis, in deren Tiefe zwei winzige Punkte in roter Glut glommen.
Sie hatte sich nicht getäuscht,
Weitere Kostenlose Bücher