Jenseits des Tores
sich nicht aufhalten.
Als hätte eine andere Macht alles Handeln an sich gerissen, formte sich in Lilith ein neues und doch altes Bild von dem grauenhaften Wesen, dem sie gegenüberstand. Obwohl es nur die Augen gewesen waren, die noch wie einst ausgesehen hatten, hatte ein Blick genügt, um etwas wie eine Initialzündung in Lilith auszulösen.
Die monströse Gestalt schien ihre Unform zu verlieren, gewann eine andere, wurde - menschlich. Und schließlich Mensch.
Ein Mensch, den Lilith kannte. Gekannt hatte .
Daß seine Verwandlung nur von scheinbarer Art war, wurde Li-lith bewußt, als das Wesen sich auf sie stürzte.
Und in sie!
Das Fremde drang in ihren Leib, mühelos, als hätte es jede Substanz verloren und wäre nicht mehr als ein - Geist .? Es geschah mit einer Gewalt, als wollte es sich diesen Körper erobern, um den Verlust des eigenen wettzumachen. Als neue Heimstatt seiner verdammten Seele .
Gefühle und Gedanken, die nicht die ihren waren, fluteten Liliths Innerstes. Sie schrie auf vor Schmerz und Entsetzen.
»Nein! Bitte - NICHT!«
Und in ihrem Schrei klang ein Name mit.
»Duncan!«
*
Tief im Fels unter dem Kloster Monte Cargano ...
... schlief ein Kind.
Es schlief und träumte. Und in Schlaf und Traum fand es neue Kraft, denn alle bis dahin gewonnene war vergangen in einem einzigen großen Moment.
Als der Knabe Gabriel sein Ziel erreicht hatte, angelangt war bei dem gewaltigen Tor, erfüllt von dem Wissen um sein Wesen und seine Bestimmung, hatte er Dinge in Bewegung gesetzt, die in der Folge ohne sein bewußtes Zutun abgelaufen waren. Der Junge selbst hatte nur die Kraft dazu herbeigebracht - und dann war sie aus ihm geflossen und hatte gewirkt.
Gabriel hatte das Portal geöffnet, hinter dem eingesperrt war, was er hatte hinaustragen sollen in alle Welt.
Doch das Tor war wieder geschlossen worden, bevor es wirklich vollbracht gewesen war. Nicht mehr als ein Hauch der jenseitigen Macht hatte den Knaben gestreift.
Doch das Wenige genügte, um ihn am Leben zu halten. Und es war genug, daß eine dunkle Saat von neuem in ihm aufgehen konnte.
Gabriel schlief und träumte.
Von Dingen, die noch kommen sollten. Von großen Dingen. Von Angst und Schrecken. Und der Knabe wußte, daß manche Träume in Erfüllung gingen. Wenn man nur fest daran glaubte.
*
Die Hölle, das sind wir selbst Thomas S. Eliot Platzangst im eigenen Leib und Geist!
Eine andere Beschreibung fand Lilith nicht für das Gefühl, das sie empfand, als das fremde Ding ihren Körper vereinnahmt hatte. Alles was ihr Sein ausmachte, wurde unter dem plötzlichen Ansturm verdrängt, doch nichts davon verließ die Hülle ihres Leibes. Sie kam sich vor wie in einen viel zu kleinen Raum gepfercht, und sie hatte Mühe, selbst die geringste ihrer Bewegungen zu koordinieren, weil sie nicht mehr die alleinige Herrschaft führte. Alles mußte sie mit dem fremden Ding teilen. Fremd ...?
Nein, es war ihr nicht fremd. Liliths Wahrnehmung hatte sie nicht getäuscht. Sie erfuhr es spätestens jetzt, da der andere in ihr war, seine Gedanken und Empfindungen zu ihren machte, so wie er an den ihren teilhatte. Und es war kein bloßes Ding.
Es war ein Mensch. Zumindest war es einmal einer gewesen. Was noch übriggeblieben war von ihm, hatte sich in dieser Unform manifestiert - oder mochte vielmehr zu dieser unwürdigen Gestalt und zu diesem elenden Dasein verdammt worden sein! Was Lilith in sich spürte, war ohne jeden Zweifel -- Duncan Luther.
Oder die Essenz seines Wesens, seine - Seele vielleicht .
Denn Duncan Luther war nicht mehr. Der junge Priesteranwärter aus Sydney hatte sein Leben verloren - letzten Endes, weil er Liliths Bekanntschaft gemacht hatte. Doch nach seinem Tod hatte sein grausames Schicksal erst richtig begonnen!
Er war im Auftrag Landrus wiedererweckt worden von den Toten und als Marionette des Kelchhüters zu Lilith zurückgekehrt, auf daß er seinen Herrn über ihre Pläne und Ziele informierte. Als Lilith schließlich in der Not von seinem Blut getrunken und mit dem Biß ihren besonderen Keim in seine Ader gepflanzt hatte, war er Land-rus Kontrolle entglitten.
Er war nach Uruk gegangen und hatte dort mit Hilfe weiterer Untoter den Korridor durch die Zeit freigelegt. Am Anfang der Zeit hatte er schließlich geholfen, das Ritual zur Erweckung der Ur-Lilith vorzubereiten, damit Lilith Eden ihre Bestimmung erfüllen konnte -die Mutter aller Vampire mit dem Schöpfer zu versöhnen. Duncan Luther war mit allen anderen
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