Jenseits des Tores
hernach selbst zu Tode gekommen war - nicht durch die Seuche, sondern durch die Hand einer zürnenden Mutter. Den Tod ihres einzigen Kindes indes vermochte sie damit nicht abzuwenden.
Oh, sie hatte freilich auch noch anderes versucht, um die Pest aus dem Leib des Mädchens zu vertreiben. Sie hatte den Tiergeborenen selbst angerufen, dafür zu sorgen, und sie hatte allerlei Rituale vollführt; andere natürlich als die, welche sie dem leichtgläubigen Volk verschacherte - echte und in ihrer Durchführung so abstoßende, daß kein Mensch, selbst in größter Not nicht, sich darauf eingelassen hätte. Tierblut war dabei noch die harmloseste Ingredienz .
Doch nichts hatte geholfen. Das Mädchen, Kathalena mit Namen, siechte weiter dahin, unaufhaltsam dem Tode zu.
Eines aber wollte die Mutter noch versuchen. In dieser Nacht sollte es geschehen. Doch sie fürchtete jetzt, da sie der Tochter ins Gesicht sah, daß es zu spät sein könnte. Der Sensenmann schien schon neben ihr zu stehen, und ihr war, als könnte sie selbst den eisigen Hauch spüren, mit dem er zum Schlag gegen Kathalena ausholte .
»Adelheid? Bist du da?«
Dem ungeduldigen Tonfall der jugendlichen Stimme nach rief der Bursche nicht zum erstenmal nach der Frau. Doch sie war so in Gedanken versunken gewesen, daß sie ihn nicht gehört hatte.
»Ja, ich bin hier«, antwortete sie. »Komm herein.«
Die Plane am Heck des Karrenaufbaus wurde zurückgeschlagen. Erst jetzt fiel Adelheid auf, daß sich draußen schon die Dämmerung übers Land gesenkt hatte. Nur im Westen verriet noch ein Streifen fahler Helligkeit, daß der Tag sich verabschiedet hatte.
Eine schlanke Gestalt kletterte in den Wagen. Selbst im Zwielicht konnte Adelheid sehen, wie sein Gesicht sich bei dem Geruch des nahen Todes verzog, der unterhalb der Plane lag, als hätte jemand verwesende Tiere in Ecken und Winkeln versteckt.
»Wie geht es ihr?« fragte der junge Bursche, der nur wenig älter war als Kathalena, mit der er hatte vermählt werden sollen. Daß sie sich allenthalben anderen Mannsbildern hingab, hatte ihn nicht gerührt. Mit seiner Moral war es nicht weiter her als mit der aller anderen ihrer Gruppe. Er wußte, weshalb sie es tat, und daß nicht Liebe oder auch nur etwas Verwandtes sie dazu verleitete, es mit Fremden zu treiben. Etwas wie Liebe, das gab es nur zwischen Kathalena und ihm - wahre Liebe indes würden sie wohl nie erfahren. Zu sehr standen sie längst im Bann der Kreatur, deren Spuren sie nachfolgten.
»Wie soll es ihr gehen, Moritz?« erwiderte die Mutter, mehr ungehalten denn schmerzlich. »Sie ist dem Tode längst näher als dem Leben. Vielleicht schon zu nahe.«
Moritz kam näher, strich sich Strähnen seines blonden Haares aus der Stirn und sah auf Kathalena herab.
»Wir sollten nicht länger warten mit dem, was wir vorhaben«, meinte er dann sorgenvoll. »Denn ich fürchte, sie lebt nicht mehr bis zur mittleren Nacht.«
Adelheid nickte lahm. »Du hast vielleicht recht. Aber lassen wir erst den Tag noch ganz verschwinden vom Himmel. Wenigstens die Dunkelheit soll uns zur Seite sein.«
»Ja«, sagte Moritz. »Möge sie genügen, unsere Worte und unser Tun zu stärken.«
Adelheid wies mit einem Blick hinaus. »Ist draußen alles bereitet?«
»Alles wurde so hergerichtet, wie du es vorgegeben hast. Aber sag, was ist das für ein Ritual, das du da vollziehen willst?«
Adelheid wandte ihm das Gesicht zu und maß sein täuschend unschuldiges Knabengesicht mit müdem Blick.
»Eines, wie es noch nie vollzogen wurde. Ich habe es selbst ersonnen, die zugehörigen Worte alten Überlieferungen entnommen und neu gefügt, auf daß sie einzig dem Zwecke dienen mögen, der in un-serem Sinn steht.« Sie sah wieder auf Kathalena hinab. »Pest und Tod sollen sie austreiben.«
Auch Moritzens Blick senkte sich wieder auf das darbende Mädchen nieder.
»Möge es gelingen«, flüsterte er.
»Bete zu unserem Herrn, daß es gelingt«, sagte Adelheid mit düsterer Stimme.
*
Niemand kann mich
von meinem Tod überzeugen.
Stanislaw Jerzy Lec
Es war eisig kalt, und es gab keine Horizonte. Zumindest keine sichtbaren.
Landru kauerte nackt am Boden und ließ den Blick in alle Richtungen schweifen. Die Kälte und das, was sonst noch fühlbar da war, umschloß seinen Körper wie ein Panzer - nein, wie die Verhöhnung einer Rüstung, denn diese morbide Kruste schützte vor rein gar nichts, im Gegenteil!
In der Hocke umwaberte ihn der Nebel bis zum Hals. Der Boden war nicht
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