Jenseits des Windes
ein Rudel hungriger Wölfe auf ein totes Tier. Sie schmissen ihre Rucksäcke ohne Rücksicht und Ordnung auf die Ladefläche. Sofort brüllte Hauptmann Lenry sie an, sie sollten sich gefälligst in Reih und Glied anstellen und ihr Gepäck ordentlich verstauen, eher würde niemand auch nur einen Schritt in Richtung Kaserne gehen. Er würde sich hinterher höchstpersönlich von der korrekten Befestigung des Gepäcks überzeugen. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als seinem Befehl Folge zu leisten, und eine weitere Verzögerung in Kauf zu nehmen. Leroy stand hinten in der Schlange. Es war ihm nicht unrecht, denn es reduzierte die Gefahr, dass sein Rucksack unten lag und unter dem Gewicht der anderen Gepäckstücke zerdrückt wurde. Nicht, dass er wertvolle oder zerbrechliche Gegenstände bei sich trug, zumindest nichts, das sich in Münzen aufwiegen ließ. Als er sein Elternhaus vor Jahren verlassen hatte, um sich als Soldat zur Armee zu melden, hatte er sich mit leeren Taschen auf den Weg gemacht. Lediglich einen abgegriffenen Umschlag hatte er zuvor aus seinem Nachttisch herausgenommen. Er enthielt einige kurze Briefe und Gedichte, die seine Mutter für ihn geschrieben hatte, als er noch ein Kind war. Es würde ihm das Herz zerreißen, wenn sie beschädigt würden. Er schluckte bei dem Gedanken daran.
Als er endlich an die Reihe kam, hievte er den Rucksack ganz oben auf den Gepäckberg. Er wollte sich gerade abwenden, als Lenry ihn harsch anfuhr: »Der Letzte zurrt gefälligst die Riemen fest.«
Leroy zuckte zusammen. Seine Ohren erwärmten sich vor Scham, weil er glaubte, alle Augenpaare in seinem Nacken zu spüren, als er den Spanngurt griff und sich nach unten beugte, um ihn an der Unterkonstruktion des Karrens zu befestigen. Doch was er unter dem Karren erblickte, jagte ihm einen weitaus größeren Schreck ein als die Zurechtweisung seines Offiziers. Neben dem Wagenrad kauerte jemand.
»Pst, glotz weg, du Idiot. Sonst werden sie auf mich aufmerksam.«
Der Firunensoldat. Kjoren. Leroy starrte ihn einen Moment lang nur an. Kjoren umklammerte fest einen Rucksack und machte eine Geste, als wollte er Fliegen verscheuchen. Seine Augen verzog er zu schmalen Schlitzen. Er sah richtig wütend aus.
Wie in Trance hakte Leroy den Gurt ein, wandte sich ab und stellte sich zurück zu den Kameraden. Seine Gedanken überschlugen sich. Kjoren würde es doch wohl nicht wagen zu türmen? Das glaubte er nicht. Niemand würde so töricht sein, und sich ohne offizielle Entlassung von der Truppe entfernen. Aber weshalb saß Kjoren dann unter dem Wagen? Leroys Knie zitterten. Es wäre seine Pflicht als redlicher Soldat, den Vorfall beim Offizier zu melden. Doch Petzen sah man unter den Soldaten nie gern, und gerade Leroy konnte sich nicht erlauben, sich seine ohnehin kaum vorhandene Beliebtheit noch weiter zu verspielen. Also schwieg er. Er schwieg auch dann noch, als der Kutscher vom Häuschen zurückkehrte, sich auf den Bock schwang und die Maultiere antrieb. Leroys Augen hafteten auf dem Wagen, doch dort, wo Kjoren hätte zum Vorschein kommen müssen, war nichts zu sehen als graue Pflastersteine. Er war verschwunden. Er hatte es tatsächlich gewagt abzuhauen.
Lenry gab den Befehl zum Aufbruch, und sie marschierten brav in Zweierreihen die Straße entlang. Niemand schien zu bemerken, dass jemand fehlte …
Sieben
Neuigkeiten
W ie aufregend alles war. Elane fiel es schwer, ihre Nervosität zu verbergen, und sich wie eine Dame von Rang zu benehmen. Sie saß aufrecht und steif auf einem gepolsterten Stuhl zwischen ihrer Tante und ihrem frisch angetrauten Ehemann an der Tafel des Königs. Noch immer befand sie sich in einem Rauschzustand, der zweifelsohne den Hochzeitsfeierlichkeiten vor zwei Tagen geschuldet war. Nach dem Vorfall beim Dinner vor drei Wochen hatte sie der Hochzeit mit gemischten Gefühlen entgegengeblickt. Was, wenn sie unglücklich werden würde oder Jonneth ihr deutlich zu verstehen gab, dass er sie nicht liebte? Doch ihre Ängste hatten sich als unbegründet erwiesen. Jonneth, ein wahrer Gentleman, hatte dem Volk mit einem Lächeln zugewinkt und sich ihr gegenüber höflich und zuvorkommend verhalten. Natürlich hatte man ihnen die Verhaltensregeln im Vorfeld immer und immer wieder vorgebetet, aber Elane verdrängte den Gedanken, dass die Hochzeit nicht viel mehr als ein inszeniertes Schauspiel gewesen war. Ihr Kleid war das schönste von allen. Die Jubelrufe von Tausenden hallten in ihrem Gedächtnis nach.
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