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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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Valanen verlieh. Leroys Gedanken schweiften ab. Er hatte sich schon während des Gottesdienstes am Vormittag unwohl gefühlt, wie er es immer tat, wenn es um Religion und Dankbarkeit gegenüber dem b armherzigen Gott ging. Jeder Valane frönte die Traditionen, aber Leroy war derlei Dinge aus seinem Elternhaus nicht gewohnt. Sein Vater hatte nie viel vom b armherzigen Gott gehalten. Leroy schämte sich vor seinen Kameraden bisweilen dafür, dass er nicht im Sinne des b armherzigen Gottes erzogen worden war und die vielen Texte aus der Heiligen Schrift, die Valanen von Kindesbeinen an erzählt bekamen, schlichtweg nicht kannte. Er hatte immer große Mühe, es vor den anderen zu verbergen. Unter keinen Umständen durfte jemand vom Frevel seiner Eltern erfahren, ihre Kinder nicht getauft zu haben. Da hätte er ihnen direkt erzählen können, dass er bei Firunen aufgewachsen war. Ein schrecklicher Gedanke. Man würde ihn noch mehr verachten als zuvor. Niemand wusste von seiner Herkunft. Leroy und sein Vater waren damals nicht im Guten auseinandergegangen, weil sein Vater den Entschluss nicht akzeptierte, in der Armee dienen zu wollen. Er hatte sich durchgesetzt … zum ersten Mal.
    Der König klatschte in die Hände und Leroy zuckte unwillkürlich zusammen. Schlagartig zerstoben seine Gedanken wie ein Haufen Staub im Wind. Zwei Diener betraten das Zelt. Sie schoben einen mannshohen Servierwagen, auf dem eine fast ebenso hohe silberne Abdeckglocke thronte, den Mittelgang entlang auf den Tisch des Königspaares zu. Noch immer schwiegen alle. Ein flüchtiges Lächeln huschte über Adorans Gesicht, als der Wagen vor ihm zum Stehen kam, doch es reichte nicht bis zu seinen Augen hinauf. Er schob die Ärmel des imposanten seidenen Gewandes aus grünem Brokatstoff nach oben und breitete die Hände über der Glocke aus. Leroy erwischte sich dabei, wie er die Szene mit geweiteten Augen verfolgte. Schnell bemühte er sich, seine entgleisten Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen.
    Der König hob die Arme ein wenig an und die Glocke darunter löste sich lautlos von dem Tablett, bis sie mehr als eine Handbreit darüber schwebte. Die beiden Diener rührten sich und griffen gleichzeitig nach der Glocke, um sie hinunterzuheben. Sie wirkten äußerst routiniert, anscheinend hatten sie das Prozedere schon mehrfach erlebt. Leroy hingegen sah zum ersten Mal, wie sein König die Magie des Bluteisens wirken ließ. Es hatte nur wenige Sekunden gedauert, doch Leroy fühlte sich, als sei er Zeuge eines monumentalen Ereignisses geworden. Sicherlich hatten nur wenige Valanen je so etwas miterlebt. Leroy wusste natürlich, dass alle Angehörigen der Königsfamilie über das Magische Mal verfügten, das sie befähigte, die Magie des Bluteisens für sich zu nutzen und alle Arten von Metallen zu bewegen. Das Magische Mal brannte man ihnen in einem speziellen Ritual mit einem Bluteisen in die Haut. Die Halsbänder der Firunen bestanden aus jenem Metall, dem so viel Macht innewohnte, dass sie es geschafft hatten, das fliegende Volk zu unterdrücken. Mit den Valanen war eine Reihe Veränderungen nach Yel gelangt, und seitdem war »das Land des immerwährenden Sturms« nicht mehr dasselbe wie zuvor. Auch, wenn valanisches Blut durch seine Adern floss, war die Erziehung seiner Eltern, die keinen Hehl aus ihrer Verachtung für die Herrscherrasse machten, auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte bittere Wurzeln geschlagen. Er war ein ständig zweifelnder und zutiefst verunsicherter erwachsener Mann, der nicht wusste, wohin er gehörte und er hasste sich dafür. Leroy war in die Armee eingetreten, weil er sich letztlich dafür entschieden hatte, das Blut der Herkunft vorzuziehen. Er hatte eine Entscheidung treffen müssen, auch wenn sie schmerzte. Er schluckte seinen aufkeimenden Seelenschmerz hinunter, ehe ihm Tränen in die Augen stiegen.
    Weitere Diener kamen mit Servierwagen ins Zelt und servierten im Team. Einer füllte die Teller, während der andere sie den Gästen an den Tisch brachte. Ein köstlicher Duft stieg Leroy in die Nase, sein knurrender Magen hätte es kaum länger aushalten können. Sie aßen sich satt, schaufelten Brot, Suppe, Braten und Klöße in sich hinein, als wäre es die letzte Mahlzeit ihres Lebens.
    Nach dem Essen löste sich die Gesellschaft recht schnell auf. Einige blieben, um mit dem König zu reden, oder um lange vernachlässigte Freundschaften zu pflegen, doch die meisten machten sich auf den Rückweg zu ihren Kutschen, die

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