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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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sicher vor dem Parkeingang auf sie warteten. Leroy beschloss, den Weg zur Kaserne zu Fuß zurückzulegen. Ein Verdauungsspaziergang wäre genau das Richtige. Rigo, sein geliehenes Schlachtross, vertraute er einem der anderen Kavalleristen an, der es zurück in die Ställe des Königs bringen würde.
    Als Leroy endlich den Eingang zur Kaserne erreichte, stand die Sonne bereits tief am Himmel. Eine ohnmächtige Müdigkeit befiel ihn, außerdem schmerzte sein Rücken noch immer. Morgen würde ihn ein mächtiger Muskelkater quälen.
    Leroy verbrachte den Abend damit, auf seinem Bett zu liegen, die Decke anzustarren und seinen Gedanken nachzuhängen. Er drehte sich auf die Seite und zog den Umschlag, der die Briefe seiner Mutter enthielt, aus der Ritze zwischen Matratze und Wand. Obwohl er nach all den Jahren jedes Wort auswendig kannte, las er die Gedichte erneut. Seine Mutter hatte sie ihm als Kind vorgelesen, wenn er in seinem Bett gelegen hatte und nicht einschlafen konnte. Noch heute las er sie vor dem Zubettgehen, wenn ihn die Sehnsucht nach Zuhause übermannte. Ein wehmütiges Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Vorsichtig verstaute er den Umschlag wieder an seinem Platz. Es war bereits spät, doch keiner seiner Zimmergenossen war anwesend, ihre Betten leer und verwaist. Es war der sechste Tag der Woche, vermutlich trieben sie sich in der Stadt herum, betranken sich oder vergnügten sich in einem der zahlreichen Bordelle, auch wenn Oberst Ripps es den Rekruten und Soldaten strikt verboten hatte. Der sechste Tag der Woche war der einzige Tag, an dem es ihnen erlaubt war, die Stadt zu besuchen. Leroy bevorzugte es hingegen, die freien Stunden allein zu verbringen. Er besuchte die Stadt nur, wenn dringende Einkäufe ihn dazu zwangen.
    Es klopfte an der Tür. Leroy erschrak fürchterlich und wurde aus dem Halbschlaf gerissen. Wer klopfte denn an seine Tür? Für gewöhnlich hielten die Kameraden nicht viel von Privatsphäre, sie platzten einfach herein.
    »Wer ist da?«, rief er. Seine Stimme klang belegt, er räusperte sich.
    »Sergeant Pelling. Darf ich eintreten?«
    Leroy musste einen erbärmlichen Anblick bieten, zumal er noch immer die schwarze Traueruniform vom Vormittag trug, die vom Wälzen auf dem Bett völlig zerknittert war. Er schämte sich für seine Disziplinlosigkeit, doch er musste dem Sergeant en Eintritt gewähren.
    »Treten Sie ein, Sir«, sagte Leroy und erhob sich rasch von der Bettkante, um Haltung anzunehmen.
    Die Tür öffnete sich knarrend, und ein stocksteifer Sergeant Pelling erschien auf der Türschwelle. Er trug eine gebügelte und tadellos sitzende Uniform. Wenn er an Leroys Erscheinung Anstoß nahm, ließ er es sich nicht anmerken.
    »Oberst Ripps wünscht, Sie in seinem Büro zu sprechen. Jetzt.«
    Ein Schreck fuhr Leroy durch die Glieder. Niemals zuvor hatte der Oberst ihn persönlich in sein Büro gerufen. Was hatte das zu bedeuten?
    »Was möchte der Oberst, Sir?«, fragte er. Bestimmt merkte er ihm seine aufkeimende Angst an.
    »Das weiß ich nicht. Ich befolge nur die Befehle.« Pelling ließ seinen Blick kurz über Leroys zerknitterte Uniform schweifen, sagte aber nichts.
    »Dürfte ich mich vorher noch umziehen, Sir?«
    »Gewiss, aber beeilen Sie sich. Ich warte vor der Tür.« Leroys Herz klopfte wie eine Kriegstrommel, als er sich eine saubere Uniform anzog, vor die Tür trat und mit Sergeant Pelling den Weg über das Kasernengelände bis zum Büro des Obersts ging. Mittlerweile war die Sonne untergegangen. Laternen erhellten die schnurgerade angelegten Wege des Geländes. Es wirkte verlassen. Für gewöhnlich durften sich die Soldaten nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr außerhalb ihrer Behausungen aufhalten, aber am sechsten Tag der Woche wurde die Regelung gelockert. Die meisten amüsierten sich sicherlich noch in der Stadt.
    Sergeant Pelling klopfte an die Tür des Obersts, und als dieser persönlich öffnete, salutierten er und der Sergeant, der beiseitetrat . Leroys Beine fühlten sich an, als seien keine Muskeln mehr darin. Seine Knie zitterten, der Blick verwischte und sein Magen drehte sich im Schleudergang. Nervosität bescherte ihm feuchte Hände.
    Oberst Ripps bat ihn herein. Der Schreibtisch im Vorzimmer war verwaist, vermutlich vergnügte sich sein Sekretär Sergeant Suttler ebenfalls bei einem Bier.
    Leroy folgte dem Oberst in sein Büro. Zahlreiche Urkunden, Wappen, Landkarten und Zeichnungen zierten den großen Raum. Persönliche Gegenstände

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