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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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Kjoren und der mordlustige Kerl rannten schneller als er.
    Leroy fasste einen Entschluss. Sie näherten sich dem Zentrum von Budford, wo es eine Menge verwinkelter Gassen gab. Wenn sich der Abstand zwischen ihnen weiter vergrößerte, würde er sie unweigerlich aus den Augen verlieren. Es gab nur eine Chance. Kjoren steuerte auf eine Weggabelung zu. Leroy spekulierte darauf, dass er sich nach rechts wenden würde. Also wandte er sich ebenfalls nach rechts und tauchte in eine schmale Gasse ein. Wenn er Glück hatte, würde er Kjoren den Weg abschneiden.
    Zwischen den Häuserwänden gespannte Wäscheleinen bremsten Leroys Sprint immer wieder. Er fluchte. Trotzdem lief er unbeirrt weiter, bis seine Beine vor Anstrengung zitterten. Er hätte sich abwenden und Kjoren seinem Schicksal überlassen können, aber eine Stimme in seinem Inneren sagte ihm, dass er das Richtige tat.
    Kjoren tauchte jäh vor ihm auf. Er rannte direkt auf Leroy zu. Als sie sich auf gleicher Höhe befanden, griff Leroy beherzt nach Kjorens Ärmel und stieß ihn mit aller Gewalt durch ein geöffnetes Tor, das in einen Hinterhof führte. Es war mehr der Überraschung als seiner Kraft zu verdanken, dass es ihm gelang, denn Kjoren war ein kräftiger Kerl mit weitaus mehr Körpergewicht.
    Kjoren schien zu glauben, Leroy würde mit seinem Verfolger unter einer Decke stecken, denn sofort begann er, mit Fäusten auf ihn einzuschlagen. Als sich ihre Blicke jedoch trafen, hielt Kjoren mitten in der Bewegung inne. Er hechelte vor Anstrengung, sein Hemd klebte schweißnass. Er trug einen Rucksack auf dem Rücken. Leroy wunderte sich über seine Ausdauer. Wie konnte jemand mit schwerem Gepäck bloß so schnell laufen?
    »Dich kenne ich doch«, stieß Kjoren hervor. »Du bist derjenige, der mich damals nicht verpfiffen hat, oder? Hast du es dir anders überlegt? Willst du mich ergreifen und zurück in die Kaserne schleifen?« Kjorens Augen funkelten, auf seiner Stirn hatte sich eine tiefe Falte gebildet. Noch immer hielt er die Hände zu Fäusten geballt schützend vor seinen Körper.
    Leroy machte eine beschwichtigende Geste. »Wenn du mich genauer ansehen würdest, fiele dir vielleicht auf, dass ich keine Uniform trage und auch nicht so aussehe, als gehörte ich noch zu Oberst Ripps’ Regiment.« Er konnte sich einen sarkastischen Unterton nicht verkneifen. »Ich wollte dir bloß helfen, weil ich mitbekommen habe, wie dich jemand angegriffen hat.«
    Plötzlich entspannten sich Kjorens Gesichtszüge und er nahm die Hände hinunter. Leroy machte einen Schritt weiter in den Hof hinein. »Wir sollten versuchen, nicht gesehen zu werden, sonst findet dich der Kerl vielleicht doch noch, Leroy .« Er betonte seinen Namen bewusst abfällig.
    Kjoren lächelte grimmig. »Irgendwie musste ich mich doch schützen. Doch wie mir scheint, ist dein Name keine gute Wahl gewesen. Immerhin hat der Messerwerfer ausdrücklich nach einem Leroy gesucht. Wenn ich gewusst hätte, dass du ebenfalls desertiert bist, hätte ich mir einen anderen Namen ausgesucht.«
    »Woher willst du wissen, dass ich desertiert bin?«
    Kjoren schnaubte. »Du sagtest, du seist kein Soldat mehr. Was soll sonst passiert sein?«
    Leroys Herz begann erneut viel zu rasch zu hämmern. »Ich wurde unehrenhaft entlassen«, zischte er. »Nicht zuletzt wegen dir. Weil sie mir auf die Schliche gekommen sind, dass ich deinetwegen gelogen habe.« Es entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber das brauchte Kjoren nicht zu wissen. Sollte er ruhig ein schlechtes Gewissen bekommen.
    Kjoren schwieg einen Moment, als müsste er abwägen, ob er Leroy glauben wollte. »Du bist immer ein kriecherischer und ehrlicher Soldat gewesen, dem Lügen zuwider waren«, sagte er schließlich in ruhigem Ton. »Hauptmann Lenrys Speichellecker. Und das ist der einzige Grund, weshalb ich dir deine Geschichte glaube. So jemand wie du wäre nie freiwillig gegangen.« Er stieß ein Geräusch aus, als müsste er sich das Lachen verkneifen. »Aber ausgerechnet du? Unehrenhaft entlassen? Das ist dramatisch. Das tut mir wirklich leid.« Seine Worte klangen nicht gerade aufrichtig. Empörung breitete sich in Leroy aus. Nicht wegen der Beleidigungen, die Kjoren ihm an den Kopf warf, sondern vielmehr die Gleichgültigkeit, die Kjoren für ihn zu empfinden schien.
    Der Firune wandte sich zum Gehen ab. »Ich danke dir für deine Hilfe, den Kopfgeldjäger abzuschütteln. Jetzt verdanke ich dir schon zum zweiten Mal eine gelungene Flucht. Aber ich habe es

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