Jenseits des Windes
mich vergiften! Und du erzählst mir, ich leide unter Paranoia!« Seine Stimme hallte von den Häuserwänden wider. Er fürchtete sich noch immer, man könnte auf sie aufmerksam werden, doch Frust, Ärger und Verzweiflung drängten an die Oberfläche. Kjoren schwieg und starrte ihn nur mit ungläubigen Blicken an. Leroy unterdrückte Tränen und atmete ein paar Mal tief ein und aus, ehe er seiner Stimme wieder vertraute.
Er erzählte Kjoren in aller Ausführlichkeit von der seltsamen Bestattungszeremonie, von Oberst Ripps’ Drohung und von der Vergiftung durch die Sanguispilze. Kjoren hörte ihm zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Er wirkte nachdenklich.
»Sanguispilze? Woher kennst du denn Sanguispilze?«, fragte er, als Leroy seinen Vortrag beendet hatte. »Die sind doch nur unter Firunen bekannt. Zumindest dachte ich das immer.«
Dies war nicht der richtige Zeitpunkt für Schamgefühle, deshalb berichtete er Kjoren auch noch von seiner firunischen Adoptivfamilie und dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater. Er hatte Kjoren während seiner Zeit in der Armee bereits von seiner Herkunft erzählt, doch noch nie hatte er über die Einzelheiten gesprochen.
Kjoren senkte den Kopf und starrte auf seine staubigen Stiefelspitzen. »Du hattest mir einmal gesagt, dass du bei Firunen aufgewachsen bist, jedoch habe ich dir das damals nicht abgekauft. Ich habe dich immer für einen überheblichen Valanen gehalten, wie alle anderen auch. Dennoch kann ich dir deine Frage auch nicht beantworten. Ich weiß nicht, wer dich töten wollte und weshalb. Ich kann dir nicht helfen.«
Er hatte recht. Trotzdem fühlte sich Leroy erleichtert. Er hatte sich endlich einmal von der Seele geredet, was ihn schon seit so langer Zeit beschäftigte. »Ich kann nicht von dir verlangen, dass du mir hilfst. Und ich wüsste auch nicht, wo ich mit meinen Recherchen anfangen sollte.«
Kjoren seufzte. »Es tut mir leid. Ich bin dir zu Dank verpflichtet. Du hast mir das Leben gerettet. Mal wieder. Scheint so, als würden sich unsere Wege immer wieder auf diese Weise kreuzen, wie?« Er stand auf und klopfte sich den Staub aus der Hose. Leroy folgte seinem Beispiel.
»Ich danke dir auch für deine Warnung«, sagte Kjoren mit einem ehrlichen Lächeln im Gesicht. »Vielleicht schaffe ich es, irgendwie unerkannt an Bord eines Schiffes zu gelangen.« Er reichte Leroy zum Abschied die Hand. Kjoren konnte ihm keine Hilfe sein, trotzdem vermochte er das Gefühl von Enttäuschung nicht zu unterdrücken. Er bedauerte, dass Kjoren nach wie vor beabsichtigte, nach Ona zu gelangen. Aber konnte er es ihm verdenken? Was hatte er geglaubt? Dass er seine Pläne aufgab, nur um Leroy zu helfen? Ausgerechnet Kjoren, der draufgängerische Egoist?
Schweigend begleitete Leroy ihn die Straßen entlang bis zurück zum Hafen. Von dem Kopfgeldjäger, oder was immer er war, fehlte jede Spur.
Vierzehn
Begegnungen
S elbst von ihrem Platz auf der obersten Treppenstufe aus konnte Elane ihn nirgends entdecken. Das Gedränge in den Straßen von Budford war einfach zu groß. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Wo blieb er bloß? Ärger und Verzweiflung machten sich gleichermaßen breit. Sie hielt den Umschlag mit dem sorgsam zusammengefalteten Pergament eng an sich gedrückt. Unter keinen Umständen durfte sie ihn verlieren. Es hatte sie zwei anstrengende Stunden gekostet, Izan Detchill zu diesem Geschäft zu überreden. Seine Unterschrift bedeutete für sie eine Lebensversicherung. Wenn sie ohne das Dokument heimkehrte nach Valana, konnte sie genauso gut direkt von den Klippen in die Tiefe springen, denn andernfalls würde Jonneth sie gewiss den Abgrund hinunterstoßen, dessen war sie sich sicher.
Sie stützte sich an der Eingangstür der Kirche ab, die auf einem Sockel mitten auf dem Marktplatz erbaut worden war, um sich zu recken. Ein guter Platz, um auf die Köpfe der Menschen hinabzusehen, doch der Sergeant blieb verschwunden.
»Sergeant Fratch?«, rief sie hinunter, doch ihre dünne Stimme ging im allgemeinen Gemurmel der Masse unter. Ihr blieb nichts anderes übrig, als auf eigene Faust nach dem Sergeant en zu suchen. Sie hatte gehofft, ihn von einem erhöhten Punkt aus zu erspähen, doch die Hoffnung zerplatzte gerade wie eine Seifenblase. Fratch hatte versprochen, hier auf sie zu warten, doch erwartungsgemäß kam er seiner Pflicht nicht nach. Fratch war ein alter Säufer, vermutlich lehnte er auf dem Tresen eines Wirtshauses und kippte sich ein Bier
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