Jenseits von Afrika
silbern schimmerndes Rinnsal schlängelte; wir fuhren durch dicken weißen Nebel. Kinanjuis großes Manyatta lag still im Mondschein vor uns, ein weiter Komplex von Hütten, kleinen kegeligen Vorratshäusern und Rinderbomas. Als wir einfuhren, sah ich im Schein unserer Lichter unter einem Strohdach das Auto stehen, das Kinanjui sich einst beim amerikanischen Konsul gekauft hatte, als er auf die Farm kam, um über seine Schwarzen zu Gericht zu sitzen. Es stand ganz verlassen da, verrostet und verfallen; sicher trug Kinanjui jetzt kein Verlangen danach, sondern war zum Glauben seiner Väter zurückgekehrt und wünschte Kühe und Weiber um sich zu sehen.
Das Dorf, das so ausgestorben schien, schlief jedoch nicht; die Leute waren auf und umringten uns, als sie den Wagen heranfahren hörten. Aber der Ort bot nicht den gewohnten Anblick. Kinanjuis Manyatta war immer voller Leben und Lärm gewesen, wie ein Sprudelquell, der aus dem Boden aufschießt und nach allen Seiten überfließt, Pläne und Projekte aller Art begegneten und durchkreuzten sich hier, gewissermaßen überschattet von der im Mittelpunkt ragenden Gestalt Kinanjuis. Jetzt breitete sich der Fittich des Todes über das Manyatta und bildete, wie ein starker Magnet, das Kraftfeld um, so daß sich neue Gruppen und Verbindungen zu einem neuen Muster ordneten. Das Wohl und Wehe jedes Gliedes der Familie und des Stammes stand auf dem Spiele, Zusammenstöße und Intrigen, wie sie stets ein königliches Sterbelager umschwirren, spielten sich, das fühlte man, im Dunst der Bornas unterm blassen Mondlicht ab. Als wir ausstiegen, kam ein junger Mann mit einer Laterne herbei und brachte uns zu Kinanjuis Hütte; eine Menschenmenge folgte uns und blieb draußen stehen.
Ich war noch nie im Innern von Kinanjuis Haus gewesen. Die königliche Residenz war erheblich größer als die gewöhnlichen Kikujuhütten, aber als ich sie betrat, merkte ich, daß sie nicht üppiger eingerichtet war; da waren eine Bettstatt aus Stangen und Riemen und einige hölzerne Hocker zum Sitzen. Zwei oder drei Feuer brannten auf dem gestampften Estrich, die Hitze in der Hütte war erstickend und der Rauch so dick, daß ich anfangs nichts unterscheiden konnte, obgleich man ein Windlicht am Boden aufgestellt hatte. Als ich mich ein wenig an die Atmosphäre gewöhnt hatte, sah ich, daß außer mir drei alte kahle Männer da waren, Oheime oder Räte Kinanjuis, eine Greisin, die, auf einen Stock gestützt, sich dicht am Bett hielt, ein hübsches junges Mädchen und ein dreizehnjähriger Junge – eine seltsame neue Kombination hatte der große Magnet im Sterbezimmer des Häuptlings versammelt.
Kinanjui ruhte flach ausgestreckt auf seinem Bett. Er lag im Sterben, ja, er war schon auf dem halben Wege zu Tod und Verwesung, und der Gestank in seiner Nähe war so betäubend, daß ich erst nicht wagte, meinen Mund zum Reden zu öffnen, aus Angst, mir könnte übel werden. Der alte Mann war ganz nackt; er lag auf einer Tartandecke, die ich ihm einmal geschenkt hatte, konnte aber wohl auf seinem schmerzenden Bein nicht den geringsten Druck ertragen. Das Bein war entsetzlich anzuschauen, so gedunsen, daß man die Stelle des Kniegelenks nicht erkennen konnte; im Dämmerschein sah ich, daß es von der Hüfte bis zum Fuß von gelben und schwarzen Streifen bedeckt war. Unter dem Bein war die Decke dunkel und feucht, als rinne unablässig Wasser von ihm herab. Der Sohn Kinanjuis, der mich von der Farm geholt hatte, brachte einen alten europäischen Stuhl herein, dessen eines Bein kürzer war als die übrigen, und setzte ihn mir dicht an das Bett hin. Kinanjuis Kopf und Rumpf waren so abgezehrt, daß das Gefüge seines starken Skelettes überall hervortrat; er wirkte wie eine mächtige dunkle Holzfigur, mit einem Messer roh aus dem Block geschnitzt. Die Zähne und die Zunge sahen zwischen den Lippen hervor. Seine halb gebrochenen Augen standen milchig-weiß im dunklen Gesicht. Aber noch konnte er sehen, und als ich an das Bett trat, wandte er seinen Blick mir zu und heftete ihn auf mein Gesicht, solang ich in der Hütte war. Ganz, ganz langsam zog er seine rechte Hand über seinen Leib, um meine Hand zu berühren. Er litt entsetzliche Schmerzen, aber noch war er er selbst und im Besitz seiner Würde, nackt und kraftlos, wie er war. Ich sah ihm an, daß er von seiner Reise als Sieger heimgekehrt war und alle seine Rinder mitgebracht hatte, seinen Massaischwiegersöhnen zum Trotz. Wie ich so saß und ihn anschaute,
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