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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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Menschen, der so schief in der Welt steht wie Sie.«
    »Ja«, sagte er, »das sehe ich selbst; aber ich möchte Ihnen etwas sagen, worüber ich in letzter Zeit nachgedacht habe und worüber Sie vielleicht nicht nachgedacht haben: irgendeinem Menschen auf der Welt muß es ja schlechter gehen als allen anderen.« Er hatte die Flasche geleert und schob sein Glas etwas von sich. »Diese Reise«, sagte er, »ist eine Art Glücksspiel für mich, ›le Rouge et Noir‹. Ich habe eine Chance herauszukommen, vielleicht überhaupt aus allem herauszukommen. Andererseits, wenn ich Tanganjika erreiche, kann ich auch wieder wo hineinkommen.«
    »Ich glaube, Sie kommen nach Tanganjika«, sagte ich. »Sie können einen der indischen Laster erwischen, die auf der Straße verkehren.«
    »Freilich«, sagte er, »aber die Löwen – und die Massai.«
    »Glauben Sie an Gott, Emmanuelson?« fragte ich ihn. Er saß eine Weile stumm da.
    »Vielleicht werden Sie mich entsetzlich skeptisch finden«, sagte er. »Außer an Gott glaube ich nämlich an absolut gar nichts.«
    »Hören Sie, Emmanuelson«, sagte ich, »haben Sie Geld bei sich?«
    »Ja«, sagte er, »achtzig Cents.«
    »Das langt nicht«, sagte ich, »und ich habe auch kein Geld im Hause. Aber vielleicht hat Farah etwas.« Farah hatte vier Rupien.
    Am nächsten Morgen, eine ganze Weile vor Sonnenaufgang, ließ ich die Boys Emmanuelson wecken und uns ein Frühstück machen. Mir war im Lauf der Nacht der Gedanke gekommen, daß es mir Freude bereiten würde, Emmanuelson die ersten zehn Meilen seines Weges in meinem Wagen zu begleiten. Es bedeutete für Emmanuelson nicht viel, ihm blieben immer noch weitere achtzig Meilen Fußmarsch, aber der Gedanke, ihn von meiner Schwelle weg ins ungewisse Schicksal davonziehen zu sehen, war mir nicht recht, und zudem wollte ich gern irgendwie bei seiner Komödie oder Tragödie dabeisein. Ich machte ihm ein Paket Butterbrote und hartgekochte Eier und gab ihm eine Flasche von dem 1906er Chambertin dazu, da er ihn zu schätzen wußte. Ich dachte, daß es ja vielleicht sein letzter Schluck im Leben sein mochte. Emmanuelson sah im Morgengrauen aus wie eine der Leichen, von denen es heißt, daß ihre Bärte in der Erde rasch wachsen, kam aber sonst mit Anstand aus seinem Grabe und war, als wir abfuhren, recht heiter und gleichmütig.
    Als wir über den Mgabathifluß gekommen waren, ließ ich ihn aussteigen. Die Morgenluft war klar und der Himmel wolkenlos. Sein Weg führte nach Südwest – als ich nach dem entgegengesetzten Horizont hinüberschaute, ging eben die Sonne auf, matt und rötlich. Wie das Dotter in einem hartgekochten Ei, dachte ich. In drei oder vier Stunden würde sie weißglühend, erbarmungslos über dem Kopf des Wanderers scheinen.
    Emmanuelson verabschiedete sich, ging los, kam wieder zurück und verabschiedete sich nochmals.
    Ich saß im Wagen und schaute ihm nach; ich glaube, er freute sich, bei seinem Abgang einen Zuschauer zu haben. Ich glaube, der Theaterinstinkt in ihm war so stark, daß er in diesem Augenblick das Bewußtsein hatte, von der Bühne abzutreten, zu verschwinden, als sähe er mit den Augen des Publikums sich selbst gehen: Emmanuelson geht ab. Konnten die Berge, die Dornbäume und die staubige Straße nicht so barmherzig sein und für einen Augenblick sich in Kulissen verwandeln? Sein langer schwarzer Mantel wehte ihm im Morgenwinde um die Beine, der Hals der Flasche lugte aus einer Tasche hervor. Mir füllte sich das Herz mit der Liebe und Dankbarkeit, die der Daheimbleibende für alle Wanderer und fahrenden Gesellen in der Welt empfindet, für die Seeleute, Entdecker und Landstreicher. Als er die Höhe erstiegen hatte, wandte er sich um, zog seinen Hut und winkte mir zu, das lange Haar flatterte über der Stirn empor.
    Farah, der mit mir im Wagen saß, fragte mich: »Wohin geht der Bwana?« Farah nannte Emmanuelson aus Selbstachtung einen Bwana, weil er im Hause geschlafen hatte.
    »Nach Tanganjika«, sagte ich.
    »Zu Fuß?« fragte er.
    »Ja«, sagte ich.
    »Allah sei mit ihm«, sagte Farah.
    Den Tag über dachte ich oft an Emmanuelson, trat aus dem Hause und blickte in die Richtung der Straße nach Tanganjika. Abends, gegen zehn Uhr, hörte ich fern im Südwesten einen Löwen brüllen, eine halbe Stunde später hörte ich ihn noch einmal. Ob er wohl auf einem alten schwarzen Überrock hockte? dachte ich. Im Lauf der nächsten Woche versuchte ich, etwas über Emmanuelson zu erfahren. Ich schickte Farah zu seinen

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