Jenseits von Feuerland: Roman
in die Schulter zu beißen.
Ein Schmerzenslaut entfuhr ihm, und er ließ sie los. Estebans Griff blieb jedoch fest. Trotz seines Ärgers war er geistesgegenwärtig genug, um Ana von seinem Kumpanen erst wegzuzerren und dann auf sie einzuschlagen, gottlob, wie es Arthur durchfuhr, nicht mit dem Messer, sondern mit der Faust. Ana konnte sich nicht dagegen wehren, sondern schrie auf, als Estebans Faust wieder und wieder ihr Gesicht traf, schließlich auch ihre Brust, ihren Magen. Derart in Rage achtete dieser jedoch nicht mehr auf Arthur, und auch Jerónimo war davon abgelenkt, den Biss auf seiner Schulter zu betrachten. Diese wenigen Augenblicke genügten Arthur, um einen Satz auf Jerónimo zuzumachen und blitzschnell die Pistole aus dem Gürtel zu ziehen.
Erbost heulte Jerónimo auf, als er den Diebstahl bemerkte, und alarmiert ließ Esteban die Faust sinken.
»Lass sie los!«, befahl Arthur, die Pistole fest umklammert.
Eine Weile starrte Esteban ihn nur verständnislos an, dann lockerte sich sein Griff. Hastig drängte sich Ana an ihm vorbei, stürzte auf Arthur zu und versteckte sich hinter seinem Rücken. Er hörte sie keuchen, doch ansonsten schien sie Estebans brutale Schläge gut weggesteckt zu haben.
Arthur richtete die Pistole erst auf Esteban, dann auf Jerónimo.
»Nun«, fragte er höhnisch, »habt ihr immer noch Lust, dieser jungen Frau hier das Gesicht zu verletzen?«
Emilia blickte hoch.
»Hast du das auch gehört?«
In Ritas Miene tat sich nichts. Sie war nicht einmal zusammengezuckt, als plötzlich der Schuss ertönt war. Es schien, als sei sie taub und blind und stumm zugleich.
Immerhin war sie heute nach der Arbeit bei ihnen in der Gaststube sitzen geblieben, anstatt sich in ihrem Zimmer zu verkriechen – in Emilias Augen ein deutlicher Fortschritt.
»Du musst es doch gehört haben!« Sie klang ungeduldiger, als sie es wollte, und kämpfte mühsam um Beherrschung. Trotz allen Mitleids überkam sie manchmal das Gefühl, sie müsste Rita bei den Schultern packen und sie rütteln, bis wieder Leben in sie gekehrt wäre.
»Irgendwer hat geschossen!«, rief sie.
Weiterhin kam keine Regung.
Emilia seufzte. Hoffentlich war Ana gut heimgekommen. Viele Monate waren mittlerweile vergangen, seit sie Esteban und Jerónimo diesen bösen Streich gespielt hatte, und obwohl sich diese bislang noch nicht gerächt hatten, machte sich Emilia ständig Sorgen um sie. Eigentlich bestand ihr Leben aus nichts anderem als Arbeit und Sorgen, und wenn diese gerade nicht Ana galten, so bot Rita genügend Anlass dafür.
Deren Leib hatte sich nach und nach verändert und war nun, da die Geburt des Kindes bevorstand, sehr behäbig; nur der Gesichtsausdruck war gleich geblieben: düster, verschlossen, leer. In den ersten Monaten hatte Emilia Angst gehabt, Rita würde sich etwas antun, doch selbst dazu war sie viel zu erstarrt, und Emilia waren die Ideen ausgegangen, sie aus dieser Starre zu locken. Sie war selbst völlig damit überfordert, die fehlende Arbeitskraft wettzumachen. Rita war zwar nie besonders schnell und fleißig gewesen – aber nun, da sie sich die meiste Zeit in ihrem Bett verkroch, wurde augenscheinlich, wie wichtig die vielen kleinen Dienste, die sie erledigt hatte, eben doch gewesen waren. Und Ana konnte bei all ihrem Fleiß auch nicht noch mehr tun.
Trotz aller Lasten – als eines Tages Agustina Ayarza gekommen war und ihre Hilfe angeboten hatte, hatte Emilia abgelehnt. Emilia hatte keine Ahnung, wie viel Agustina von Estebans Machenschaften wusste und ob diese erfahren hatte, dass Rita ein Kind erwartete – auf jeden Fall hatte sie nicht nur ausgezehrt und schwächlich gewirkt, sondern voll schlechtem Gewissen. Sie hatte nicht gewagt, Emilia in die Augen zu sehen, nur genuschelt, dass sie für sie da wäre, wenn sie sie brauchte … und dass ihr alles so unendlich leidtäte.
Nachdem sie sie das erste Mal fortgeschickt hatte, war sie mehrmals wiedergekommen, doch Emilia hatte sich nicht erweichen lassen. Ganz gleich, wie verstört Agustina jetzt darüber sein mochte, dass der Sohn so grob und brutal war – sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass sie einst mit leuchtenden Augen und voller Liebe über ihn gesprochen hatte. Sie lastete ihr diese Liebe nicht an, schließlich war sie seine Mutter, aber ihre Nähe schien ihr unerträglich, und schon gar nicht wollte sie sie Rita zumuten.
Verspätet ging nun ein Ruck durch deren Körper. Der Schuss, der eben ertönt war, ließ sie
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