Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
Begegnung denken – als er sie umarmt hatte, nachdem er sah, wie sie Tränen vergossen hatte. Tränen um ihre Mutter, um Rita, um sich selbst.
    Damals hatte sie sich alles andere als stark gefühlt, und die Erinnerung daran und auch an seinen festen Griff ließ ihr Röte ins Gesicht steigen. Sie hoffte, er würde es nicht bemerken, und straffte die Schultern.
    »Man ist so stark, wie man sein muss«, erklärte sie kühl.
    Er löste sich vom Türrahmen und trat zögernd ins Zimmer. Wie alle Gästezimmer war es ein einfach eingerichteter Raum: Ein Bett und ein Stuhl befanden sich darin, eine Kommode, auf der die Waschschüssel stand, und auf dem Boden lag ein Fell anstelle eines Teppichs. Sie dachte schon, er würde nichts mehr sagen, doch plötzlich stellte er eine Frage: »Und warum musstest du stark sein? Was ist das Geheimnis der Emilia?«
    Sie zuckte zusammen, obwohl sie sich bemühte, sich nicht anmerken zu lassen, woran seine Frage rührte. Das Bild ihrer Mutter stieg vor ihr auf, das sich in letzter Zeit so häufig mit Ritas ausdruckslosem Gesicht vermischte. Die beiden Frauen hatten bis auf die zarte Statur eigentlich nichts gemein, trotzdem überlegte sie oft, ob auch Gretas Blick so starr und tot gewesen war, als sie das Kind trug, das sie gewaltsam von ihrem eigenen Bruder empfangen hatte. Sie würde die Wahrheit nie herausfinden, aber das eine tat so weh wie das andere – Ritas Anblick ebenso wie die Frage, ob Greta sie insgeheim gehasst hatte.
    »Das geht dich nichts an!«, entfuhr es ihr heftig. Unruhig rieb sie die Lippen aufeinander und bereute sogleich, sich nicht besser im Griff zu haben, zumal Arthur nur neugierig geklungen hatte – nicht aufdringlich.
    Entschuldigend hob er seine Hände: »Ich wollte dir nicht zu nahetreten. Ich … ich würde nur gerne schlau aus dir werden.« Er ließ die Hände wieder sinken, blickte verlegen darauf. »Ich bin noch nicht so vielen Frauen wie dir begegnet.«
    Die Erinnerung an ihre Mutter verblasste, der Schmerz ließ etwas nach. »Frauen, die dich in einem Tümpel haben baden lassen?«, rief sie, und dann entfuhr ihr ein kurzes Auflachen, das sie befremdete, weil es so hell, so klar tönte. Sie hatte nicht geglaubt, noch lachen zu können, und schnell schloss sie den Mund wieder. »Reden wir nicht über mich«, wechselte sie rasch das Thema, »was hast du in den letzten Monaten erlebt? Warum bist du wieder hier?«
    Er hob den Kopf, wirkte nicht länger verlegen, sondern stolz und aufgeregt – und das mit jedem Wort, das er nun erzählte, ein wenig mehr. »Eine lange Reise liegt hinter mir!«, rief er aus. »Eine lange, gefährliche, zermürbende Reise!«
    Daher kamen also die gegerbte Haut und die Zeichen der Erschöpfung in seinem Gesicht. Eifrig berichtete er ihr von seinem Aufenthalt in Valparaíso, seinen Verhandlungen mit einem gewissen Apotheker Heinrich Schmitzke und dem Auftrag, pharmazeutische Ware heil über die Anden zu bringen. Er schmückte die Mühsal wortgewaltig aus – von schlammigen Wegen war die Rede, von brütender Sonne und eisigen Winden, von spitzen Felsen, von gebrochenen Rädern der Maultier-Karawane, vom ruckelnden Zug, der oft stundenlang anhielt, wenn Lamas die Gleise verstellten. Doch anstatt damit die unmenschliche Anstrengung heraufzubeschwören, klang vor allem Begeisterung über dieses größte Abenteuer seines bisherigen Lebens durch. Emilia prägte sich nicht jedes Wort ein, aber sie glaubte förmlich zu schmecken, was sein Gesicht so zum Strahlen brachte: das Gefühl von Freiheit und Lebendigkeit, der Stolz, über sich selbst hinausgewachsen zu sein, der Triumph, trotz aller Qualen geschafft zu haben, was man sich vorgenommen hatte.
    »Ich hätte nicht geahnt, dass etwas, das so mühselig ist, so erfüllend sein kann«, schloss er.
    Sie nickte. Der Zauber seiner Worte war so mächtig, dass sie ihr eigenes Leben kurz in einem anderen Licht sah: Dass sie die Heimat verlassen hatte, erschien ihr plötzlich nicht als Flucht vor der Schande ihrer Herkunft, sondern als Aufbruch in ein großes Abenteuer; die Fahrt auf Pedros Schaluppe ließ sie nicht an Enge, Armseligkeit und Dreck denken, sondern an die wilde Landschaft der Küste. Und das Leben in Punta Arenas, in dem sie sich eben noch so getrieben gefühlt hatte – von der Rachsucht ihrer Feinde, von der vielen Arbeit, von der Sorge um Rita –, machte sie für wenige Augenblicke lang stolz: weil es ihr Leben war. Weil sie es förmlich aus dem Nichts aufgebaut

Weitere Kostenlose Bücher