Jenseits von Feuerland: Roman
ihrem Kopf vorbei und trafen Tische und Stühle, die alsbald in Flammen standen. Sosehr sie auch auf das Feuer schlug und trat – irgendwann konnte Emilia nur mehr ohnmächtig zusehen, wie es sich verbreitete, in nur wenigen Augenblicken wie ein heißes Meer Stühle und Tische überzog, erst den Boden entlangkroch und dann die Wände erfasste – Wände, die aus Holz gebaut waren.
»Wasser!«, schrie Emilia und trat wild auf die Flammen. »Wir brauchen Wasser!«
Der Rauch war so dicht, dass sie Ana und Juanita kaum mehr sehen konnte. Er drang in ihre Nase, in ihren Mund, verätzte ihre Haut und ließ ihre Augen tränen. So laut wurde das Knistern der gefräßigen Flammen, dass sie auch kaum mehr etwas hören konnte. Die Amme heulte nicht mehr, sondern stürzte zur Tür und floh eilig vor den Flammen, und auch Ana ließ hilflos ihre Hände sinken, packte Emilia, anstatt auf die Flammen einzuschlagen, und wollte sie ins Freie ziehen.
»Komm!«, schrie sie. »Wir schaffen es nicht!«
Emilia wehrte sich verbissen, aber als die Flammen schließlich an ihren Kleidern leckten, gab sie Anas festem Griff nach. Doch der Weg zur Tür war ihnen längst versperrt: Der Türbalken hatte Feuer gefasst, brannte gleißend und würde gewiss gleich einstürzen. Geistesgegenwärtig riss Emilia Ana zurück und kämpfte sich durch den dichten Rauch Richtung Küche. Das Fenster war hier von einem Balken geschlossen und als sie sich dagegenwarf, klemmte er kurz. Doch als sie sich mit vereinten Kräften dagegen stemmten, sprang er endlich auf.
»Beeil dich!«, schrie Ana.
Emilia hustete, stürzte dann kopfüber durch das Fenster. Hart prallte sie auf der Straße auf, drehte sich mehrmals um die eigene Achse. Als sie endlich zum Liegen kam, versteifte sie sich kurz, so schmerzhaft, wie das Eis unter ihren Händen in die eben noch glühende Haut schnitt, dann rappelte sie sich ächzend auf. Die Lungen schienen ob der so kalten Luft zu bersten.
Mehrere Menschen waren aus den umliegenden Häusern herbeigeströmt und deuteten angsterfüllt auf die brennende Herberge.
Emilia nahm sie kaum wahr. »Mein Gott!«, schrie sie, als auch Ana aus dem Fenster geklettert kam. »Wir haben Rita zurückgelassen! Rita und das Kind!«
Das Feuer hatte das ganze Erdgeschoss erfasst und kroch nun langsam auf den Dachbalken zu.
Eben noch hatte sie geglaubt, sie könnte sich vor Schreck nicht mehr rühren, nun stürzte sie auf die Eingangstür zu.
Ana stellte sich ihr in den Weg. »Nicht!«, rief sie. »Nicht! Es ist zu spät. Du kannst nichts mehr für sie tun!«
»Aber …«, stammelte Emilia ebenso fassungs- wie hilflos.
Ana zerrte sie von der brennenden Herberge zurück, ehe sich ein Balken lösen und unter sie begraben konnte. Immer mehr Leute liefen auf der Straße zusammen, die einen sensationsgierig, die anderen voller Angst, dass das Feuer auf ihre eigenen Häuser übergreifen könnte. Ihre Stimmen verkamen zu einem Rauschen. Nur mehr Anas Worte konnte Emilia verstehen, als diese dicht an ihrem Ohr murmelte: »Nun kann Rita sich nur mehr selbst retten.«
Rita roch den Rauch und hörte das Kind schreien. Sie wälzte sich zur Seite und drückte das Kissen auf ihre Ohren. Beides war ihr einfach nur lästig.
Eine Weile versuchte sie, wieder einzuschlafen, aber sie konnte nicht. Der Rauch hing immer dichter – ob etwas in der Küche angebrannt war? Und warum schrie das Kind? War die Amme nicht in seiner Nähe?
Je durchdringender der Säugling brüllte, desto mehr schmerzten die eigenen Brüste. Sie seufzte gequält und wälzte sich wieder auf den Rücken. Seit der Geburt spottete ihr Körper über sie: Obwohl sie das Kind nicht wollte, hätte sie es – so prall, wie ihre Brüste waren – wahrscheinlich noch besser nähren können als die Amme. Ständig tropfte Milch aus ihnen, und manchmal wurde der Druck so unerträglich, dass sie sich vorstellte, das Kind einfach hochzuheben und anzulegen. Die Sehnsucht nach dieser Erleichterung wurde dann so stark, dass sie dieses brüllende Wesen für wenige Augenblicke nicht als Feind betrachtete.
Aurelia.
Nein, sie wollte nicht an diesen Namen denken. Sie wollte überhaupt nicht an das Kind denken. Sie wollte schlafen!
Wieder presste sie die Augen fest zusammen – es nützte nichts. Das Schreien des Kindes wurde regelrecht panisch, und auch in ihrem Magen verkrampfte sich etwas. Ihr Geist war zwar träge, aber ihr Körper witterte Gefahr. Unwillig setzte Rita sich auf und hatte beim nächsten
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