Jenseits von Feuerland: Roman
Anblick der Papiernoten erfreut. Es war ein Fehler gewesen, das Geld zu behalten, ein schwerer Fehler.
Drei Jahre Schufterei, dachte sie, für nichts …
Ernesta maß sie mit kaltem Blick: »Ich wüsste schon eine Möglichkeit, wie du wieder zu Geld kommen kannst«, erklärte sie.
Sie ließ ihren Blick erst über ihren Körper wandern, dann über Ritas. Diese presste ihr Kind noch fester an sich.
Emilia fielen die Worte ein, die Ernesta damals schon, vor drei Jahren, gesagt hatte – dass sie beide als Huren taugen würden und dass manche Männer viel bezahlen würden, wenn sie sie zusammen kriegen könnten.
Das Atmen schmerzte, ihre Augen brannten, ihr fiel nichts ein, was sie Ernesta entgegensetzen konnte.
Eben noch hatte sie das Gefühl gehabt, nicht tiefer sinken zu können – nun bekam sie langsam eine Ahnung davon, dass es in der Hölle viele dunkle Kammern gab, die sie noch nicht kannte.
20. Kapitel
W as hast du getan? Was hast du nur getan?«, rief Agustina.
Esteban hob sichtlich irritiert den Kopf. Für gewöhnlich reagierte er nicht auf ihre Fragen, doch ihr Tonfall schien ihm fremd zu sein. Er war ihr selber fremd. Wenn sie mit Esteban sprach, versagte ihr meist die Stimme, und selbst wenn sie das Zittern manchmal unterdrücken konnte, hatte sie ihm noch nie Vorwürfe gemacht.
Heute aber konnte sie nicht anders, konnte unmöglich das Entsetzen unterdrücken, das sie bei seinem Anblick befiel, konnte sich nicht einreden, dass er ein guter Junge war – trotz allem und irgendwie.
Nein, sie konnte nur immer wieder rufen: »Was hast du getan?«
Sobald sie vom Brand gehört hatte, war sie zur Casa Emilia geeilt, doch dort hatte sie nichts weiter tun können, als auf das völlig abgebrannte Gebäude zu starren, von dem beißende Rauchsäulen hochstiegen und sich im farblosen Himmel verflüchtigten. Stundenlang war sie dort stehen geblieben, und als sie nun frierend in die eigene Herberge zurückkehrte, saß Esteban seelenruhig in der leeren Gaststube und aß mit gutem Appetit Bohneneintopf.
»Was hast du nur getan?«
Diese Frage war ihr oft auf den Lippen gelegen – als sie gehört hatte, was der armen Rita zugestoßen war und dass diese ein Kind bekam –, aber sie hatte sie sich immer verbissen. Jetzt konnten die übliche Furcht vor dem Sohn und das schlechte Gewissen, weil sie ihm nie etwas hatte bieten können, das Entsetzen nicht drosseln.
Esteban starrte sie an. Seine Augen waren rötlich unterlaufen, seine Haut noch bleicher. Er war nicht rasiert, und seine Haare hingen wie üblich tief und strähnig über die Stirn. Die Überraschung über den ungewohnten Tonfall der Mutter erstarb. »Halt’s Maul!«, schrie er. »Ich ertrage deine Stimme nicht!«
Agustina zuckte zusammen, doch es waren nicht so sehr seine wütenden Worte, die sie bestürzten, sondern das, woran diese sie erinnerten. So hatte schon einmal jemand mit ihr gesprochen: Estebans Vater. Der schmucke Offizier, der einst Gast auf ihrer Farm gewesen war und säuselnd beschworen hatte, wie sehr er weibliche Gesellschaft vermisse, da er doch nur von mürrischen Soldaten oder Verbrechern umgeben sei. Später, nachdem er sie verführt und geschwängert hatte und sie von ihrem Vater verjagt worden war, hatte er nicht mehr gesäuselt. »Halt’s Maul!«, hatte er gesagt und sie fortgeschickt.
Agustina trat zu Esteban und blickte kopfschüttelnd auf ihn herab. »Warum?«, stammelte sie. »Warum nur?«
Da sprang er auf, so schnell und wütend, dass das Glas umkippte. Wein floss auf den ohnehin schon dreckigen Tisch und erinnerte sie an Blut. Viel Blut.
»Du hast kein Recht, mir irgendwelche Vorwürfe zu machen! Du nicht!«
Er sprach es nicht aus, aber sie konnte es hören – all das Gezeter darüber, dass er ein Bastard war, dass sie nichts besaßen und warum sie ihn in diese elende Welt geworfen hatte.
Ich wollte doch immer nur dein Bestes, wollte sie sagen, konnte es jedoch nicht. Erneut stieg das Bild von seinem Vater, dem Offizier, vor ihr auf, der Blick seiner kalten und mitleidlosen Augen, der Griff seiner Hände, als er sie brutal zurückstieß. Agustina erschauderte.
Sie hatte schon lange nicht mehr an ihn gedacht, auch nicht an ihren Vater, der ihr vorgeworfen hatte, eine schamlose Hure zu sein. Dass sie es nun tat, lag nicht nur am Brand der Casa Emilia. Die Vergangenheit, die Esteban mit seinen wütenden Worten heraufbeschwor, hatte schon eher angeklopft – vor drei Tagen, genau genommen. Was sie damals
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