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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ins Stocken. Ich habe es mir selbst beigebracht, wollte sie sagen, aber sie wusste insgeheim, dass das nicht so war. Auch Emilia oder Ana hätten den Webstuhl finden und ihn in Gebrauch nehmen können, doch das hatten sie nicht getan. Und obwohl Rita sich einzureden versucht hatte, dass es daran lag, weil weder die eine noch die andere so lange stillsitzen konnte wie sie, war stets klar gewesen, warum ausgerechnet sie webte. Sie hatte es einst von der Großmutter gelernt. Der Großmutter mit dem gefurchten Gesicht, den warmen, rauhen Händen und dem Geruch nach Erde.
    »Ich kann es eben«, sagte sie.
    Sie sah, dass Maril den Mund wieder öffnete, zu einer neuen Frage ansetzte, und sie überlegte schon, wie sie ihn dazu bringen konnte, sie in Ruhe zu lassen, ohne unhöflich zu sein, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Ana hereingestürzt kam. Emilia folgte ihr, die Haare vom Wind zerzaust, das Gesicht gerötet. Beide umklammerten sie ihre Gewehre.
    »Was … was …«, begann Rita.
    Die Augen der beiden Frau waren schreckgeweitet. Im nächsten Augenblick hörte sie es selbst: das Getrampel von Pferden, vielen Pferden, die Rufe und das Gelächter von Männern und plötzlich einen Schuss.
    Emilia schloss die Tür hinter sich und schob den Riegel vor, stürzte dann zum Fenster, um zunächst zwischen den Balken ins Freie zu lugen und dann zwischen einem Spalt das Gewehr hindurchzuschieben.
    »Sie sind zurück«, stellte Rita tonlos fest.
    Don Andrea schlug ein Kreuzzeichen, Marils Züge erstarrten. Emilia nickte düster. »Esteban und Jerónimo haben Verstärkung mitgebracht«, sagte sie. »Gewiss ein Dutzend Männer. Sie scheinen von allen Seiten zu kommen und kreisen das Haus ein!«

    Vor diesem Augenblick hatte sich Emilia am meisten gefürchtet, der Augenblick, da es losbrach, da die Horde Männer nicht länger wartete, sondern das Feuer eröffnete. Doch nun, da es geschah, da dieser ohrenbetäubende Lärm einsetzte, Schüsse und Schreie, hatte sie keine Angst mehr. Nichts war da mehr, keine Sorgen, keine Panik, nicht einmal Wut. Ihr Kopf wurde von einem Rauschen erfüllt, und der einzige Gedanke, den dieses Rauschen nicht zum Verstummen brachte, war der Befehl: Ich muss die Meinen schützen.
    Als sie hinter dem Fenster stand, mit dem Gewehr nach draußen zielte, schien ihre ganze Welt geschrumpft zu sein: Es gab nur sie und die Feinde. Und Ana, die dicht neben ihr ebenfalls auf die Männer zielte – und als Erste schoss. Sie jubelte auf, als einer fiel, und Emilia, die sich die letzten Tage noch gefragt hatte, ob es ihr gelingen würde, auf einen Menschen zu schießen, fand nichts Verwerfliches daran, fühlte nur tiefen, heißen Triumph und dass sie es auch wollte – jemanden erschießen. Ihn ein für alle Mal von dem Land zu verjagen, das ihnen Agustina geschenkt hatte. Ihm die Macht zu nehmen, sie zu ängstigen.
    Sie suchte sich ein Ziel und drückte ab. Ob sie getroffen hatte, wusste sie nicht. Nicht nur, dass die aufziehende Nacht das letzte Licht vom Himmel scheuchte – in der Luft hing überdies eine dicke Sandwolke.
    »Wir haben den Vorteil auf unserer Seite!«, jubelte Ana. »Sie haben nicht geglaubt, dass wir zurückschießen werden. Sieh nur! Sie fliehen! Sie …«
    Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Kurz, ganz kurz war ihre Erleichterung auf Emilia übergeschwappt, aber dann erkannte sie, dass die Gefahr noch lange nicht vorbei war, im Gegenteil. Die Männer liefen oder ritten zwar fort, doch sie entfernten sich nur vom Patio, wo sie den Schüssen der Frauen ausgeliefert waren, und fielen stattdessen an anderen Stellen in die Estancia ein, wie das laute Kläffen der Hütehunde, das angstvolle Blöken der Schafe, das Knirschen von Holz bekundete.
    Emilia begriff. Der Angriff auf ihr Haus war erst der Anfang gewesen, um sie zu erschrecken. In Wahrheit hatten sie es auf die Schafe abgesehen, von denen ihre ganze Existenz abhing. Zuerst zerstörten sie die Zäune aus Ciprésholz – eigentlich ein festes, gut haltbares Holz –, deren Pfeiler jedoch unter Äxten und Sägen krachend nachgab; als Nächstes trampelten sie mit den Pferden die Tranquera, das breite Zauntor, nieder.
    Emilia biss sich auf die Lippen. Es war so mühsam gewesen, das alles aufzubauen – nicht nur die Außenzäune, sondern auch die niedrigeren, die die Koppeln in vierzehn große, elf mittlere und acht kleinere unterteilten. Sie glaubte, noch die Rückenschmerzen zu fühlen, weil sie so viel Holz geschleppt

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