Jenseits von Feuerland: Roman
hatte, die Blasen an ihren Händen, die vom Hämmern kamen.
Abermals ertönten Schüsse – diesmal nicht auf das Haus gerichtet, sondern auf … die Schafe. Das Blöken wurde erst noch panischer, dann dünner.
»Mein Gott, sie schießen die Schafe tot!«, schrie sie auf.
Ana fluchte auf Russisch.
Erst jetzt sah Emilia, dass auch Rita nicht weit von ihr entfernt stand und durch das Fenster lugte. Sie ließ sich von Ana deren Gewehr reichen, doch anders als beim Üben zitterten ihre Hände so stark, dass sie es nicht halten konnte und es schnell wieder an sie zurückgab. »Was sollen wir nur tun?«, rief sie verzweifelt.
Emilia rang die Hände. »Wir müssen sie aufhalten!«
Sprach’s und wollte schon zur Tür laufen, um nach draußen zu stürzen. Ana erhaschte ihre Schürze und hielt sie daran fest. »Bist du verrückt geworden? Genau das ist doch ihr Plan! Sie erschießen die Tiere, um uns aus dem Haus zu locken!«
»Aber wenn wir keine Schafe mehr haben …«, setzte Rita an.
»… dann haben wir gar nichts mehr«, beendete Emilia den Satz, riss sich von Ana los und lief zur Tür.
»Nicht!« Diesmal war es Rita, deren Schrei sie aufhielt. »Besser wir verlieren die Tiere – als unser aller Leben.«
Emilia zögerte. Kurz hörte sie nichts mehr, weder Schüsse noch Geschrei, noch das stete Rauschen. Sie sah, wie Aurelia, die vom Lärm wach geworden war, weinte, aber sie vernahm es nicht. Sie sah auch, dass sich Don Andrea unter dem Tisch verkrochen hatte, aber sie hörte das Gebet nicht, das er murmelte. Für einen Augenblick lang konnte sie nichts anderes denken, als was für einen lächerlichen Anblick er bot – ganz anders als Maril, dessen Hand fest seine Boleadora umklammerte.
Er nickte Emilia zu. Mach nur, schien ihr sein stolzer Blick zu sagen, lass sie nur kommen – ich werde mit euch kämpfen.
Emilia griff nach dem Riegel, mit dem sie die Tür verschlossen hatte.
»Nicht!«, schrie Rita wieder. »Wenn du öffnest, dann können sie das Haus stürmen.«
»Soll ich hier warten, bis sie alle Schafe getötet haben?«, entgegnete Emilia aufgebracht. »Nie und nimmer! Ich lasse mir von diesen Schuften meinen Besitz nicht nehmen.«
Ana trat zu ihr, das Gewehr fest umklammert. Jeglicher Zweifel war aus ihrem Gesicht geschwunden. So kalt und hart wie in diesem Augenblick war ihr Blick schon lange nicht gewesen. »Ich auch nicht.«
»Ich helfe euch«, erklärte Maril und schwang bedrohlich die Boleadora.
»Wenn ich die Tür öffne, müsst ihr mir Rückendeckung geben und …«, sagte Emilia.
Rita packte sie am Arm: »Emilia! Wir sind zu wenige, viel zu wenige! Wenn wir das Haus verlassen, werden wir umkommen.«
Emilia hielt ihrem verzweifelten Blick stand. »Du musst dich mit Aurelia irgendwo verstecken. Am besten in einer der Vorratskammern. Ich glaube nicht, dass sie euch dort suchen werden.«
Rita schüttelte energisch den Kopf. »Wie soll ich uns beide durchbringen, wenn dir etwas zustößt?«, rief sie. »Und wenn wir doch Esteban und Jerónimo in die Hände fallen … oh, lieber wäre ich tot.«
»Verdammt!« Emilia hätte viel gegeben, einige von Anas russischen Flüchen zu kennen, deren Wirkung ihr stets vernichtender erschienen waren als ihre eigene. Zitternd klammerte sich Rita an ihr fest; zugleich wurde das Bellen der Hütehunde immer verzweifelter, knallten Schüsse durch die Nacht, knirschte immer noch Holz. Wahrscheinlich zerstörten sie nicht mehr nur Zäune, sondern auch die Scheune und die Ställe. Und sie lachten. Ja, die Männer schrien nicht nur, sondern lachten laut und triumphierend.
»Verdammt!«, rief Emilia wieder und umkrampfte den Riegel fester. Sie wusste, dass Rita recht hatte. Wenn sie ins Freie trat, könnte sie sterben.
Doch sie konnte nicht anders, schob den Riegel zur Seite, schüttelte erst Rita ab und öffnete dann die Tür. Als sie über die Schwelle auf den Patio trat, steckte sie augenblicklich in einer Wolke aus Sand und Staub fest, doch sie ließ sich nicht davon abhalten, einen zweiten Schritt zu tun.
Kurz herrschte wieder Stille in ihrem Kopf, ehe der Lärm über sie hereinbrach, noch lauter, noch wilder, noch ohrenbetäubender. Sie zuckte zusammen. Dieser Lärm kam nicht nur von den Angreifern, sondern von weiteren Männern, die nun in den Hof geritten kamen. Sie konnte nicht genau erkennen, wie viele es waren, denn die Hufe ihrer Pferde wirbelten noch mehr Staub auf. Doch es mussten mehr als ein Dutzend sein, und die Schüsse, die sie
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