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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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stammelte sie: »Er ist nicht geflohen. Gewiss will er Hilfe holen! Und er hat gewartet, bis wir so abgelenkt sind, damit wir ihn nicht aufhalten und es ihm ausreden!«
    »Von wegen!«, schrie Emilia und stampfte heftig auf dem Boden auf. Ihre Selbstbeherrschung zeigte Risse, und mit jedem wütenden Wort wurde ihre unermessliche Anspannung deutlich. »Er hat sich aus dem Staub gemacht!«, tobte sie. »So wie sich einst Arthur aus dem Staub gemacht hat. Die beiden sehen sich zwar nicht ähnlich und könnten doch Brüder sein.«
    Eine Weile fluchte sie so laut wie vorhin, als sie danebengeschossen hatte, und stampfte mehrmals auf. Dann erst bemerkte sie, dass alle sie anstarrten – Rita entsetzt, Aurelia neugierig, Ana grinsend und Maril ausdruckslos. Don Andrea faselte wieder etwas von Gewalt und dass sie darin umkommen würden.
    Wortlos wandte sie sich ab und stürmte nach draußen. Sie schichtete erneut die Steine übereinander und schoss darauf. Diesmal zitterten ihre Hände nicht: Sie traf alle mühelos.

    Drei Tage später warteten sie immer noch auf den Angriff der Männer – angespannt, sorgenvoll, aber entschlossen, zurückzuschlagen.
    Es war Abend, als Ana und Emilia wieder einmal gemeinsam ums Haus gingen. Aurelia schlief bereits. Don Andrea las mit verzweifeltem Gesicht in der Bibel, Maril starrte ausdruckslos vor sich hin.
    Rita hatte versucht zu schlafen, aber sie konnte einfach keine Ruhe finden und beschäftigte sich schließlich mit dem, was ihr in den letzten Jahren die meiste Kraft gegeben hatte: dem Weben. Schon im ersten Winter hatte sie damit begonnen, als heftige Schneestürme sie alle im Haus gefangen gehalten und zur Untätigkeit gezwungen hatten. Damals hatte Rita das Haus durchstöbert und war auf einen Webstuhl gestoßen – ein sehr simples Gerät, bestehend aus zwei Kisten und zwei horizontalen Stangen, an deren Enden Ketten gebunden worden waren, die beim Weben dafür sorgten, dass die Ränder des Stoffes gerade blieben. Mit einer glatten Nadel oder einem Stab ließen sich die Ketten trennen, um den Faden durchzuziehen.
    Anfangs war Rita sehr langsam vorangekommen, nun konnte sie fast blind mit der Straußenfeder, die als Weberschiff diente, und einem Stab, durch den man das Garn schoss, arbeiten. Sie bemerkte kaum, dass Maril aufgestanden, zu ihr getreten war und sich an ihrer Seite niederließ. Vor einigen Tagen noch hätte sie sich vor ihm zu Tode gefürchtet – doch nun galten ihre Ängste zwei ganz anderen, die irgendwo da draußen in der Finsternis darauf warteten, ihr zuzusetzen.
    »Guanako- oder Schafwolle?«, fragte er knapp.
    Sie glaubte sich daran zu erinnern, dass Don Andrea, als er von den Tehuelche erzählt hatte, behauptet hatte, sie würden vor allem von Guanakos leben.
    »Schafwolle«, sagte sie leise.
    Schweigend sah ihr Maril eine Weile über die Schultern. »Unsere Frauen zwirnen die Wolle mit Hilfe eines Schilfsrohrs«, erzählte er. »Das könntest du auch versuchen. Und wie färbst du sie eigentlich – die Wolle, meine ich, und später den Stoff?«
    Rita blickte verwirrt hoch.
    »Ich färbe die Wolle gar nicht – und den Stoff auch nicht«, antwortete sie.
    Wieder schoss der Stab hin und her.
    »Unsere Frauen stellen Erdfarben her«, sagte Maril. »Sie werden mit dem Mark des Straußes vermischt, und später werden die Quillangos damit bemalt. Manchmal mischen sie auch Kohle oder Ton mit Blut und Fett, um daraus Farben zu machen.«
    Don Andrea blickte von der Bibel hoch. »Ihr bemalt auch eure Gesichter, nicht wahr?«, fragte er.
    Maril nickte. »Meist rot. Und die Augen werden gelb umkreist, die Backen ebenfalls. Und manchmal bemalen wir uns mit schwarzer Farbe. Die schützt am besten vor Kälte und Wind. Ja, auf Farben verstehen wir uns gut. Und das Weben haben wir von den Mapuche gelernt.«
    Rita war kaum merklich zusammengezuckt. War es Zufall, dass er von ihrem Volk sprach? Wusste er oder ahnte er zumindest, dass sie eine Rothaut war? Vielleicht hatte er gehört, wie Jerónimo und Esteban über sie gesprochen hatten, und wollte nun mehr herausfinden. Rita ließ das Weberschiff sinken.
    »Du machst das wirklich gut«, sagte er leise, die dunklen Augen starr auf sie gerichtet.
    Sie wusste, dass er es gut meinte, doch in ihren Ohren klangen die Worte nicht wie ein Kompliment, sondern wie eine Beleidigung, und sie fühlte sich entlarvt.
    »Ach was«, sagte sie hastig, »das ist doch gar nichts.«
    »Woher kannst du es?«
    »Ich … ich …« Sie geriet

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