Jenseits von Feuerland: Roman
ihm, sondern nur mehr Pedros massigen Leib. Mit einem lauten Schrei, in dem gleichermaßen Triumph und Erleichterung durchklangen, hob er sie hoch und presste sie an sich. Schon früher hatte sie oft geglaubt, dass sie irgendwann in seinen Armen ersticken würde, doch noch nie hatte er ihr die Luft so stark abgepresst. Er ließ sie erst los, als sie mit beiden Fäusten auf seine Brust trommelte.
»Diese Mistkerle!«, fluchte er, um dann – ernsthaft wie einen Schwur – hinzuzufügen: »Ich lasse euch nie wieder allein.«
»Das würdest du ja doch nicht ertragen«, gab Emilia trocken zurück. »Du kannst nie lange an ein und demselben Ort bleiben. Versprich also nichts, was du nicht halten kannst!«
Ihre Stimme war eigentümlich belegt. Sie wusste nicht, ob das vom Angriff rührte oder von dem Schock, Arthur wiederzusehen.
Eben hatte er sich seinen staubigen Hut wieder aufgesetzt und blickte erstmals offen in ihre Richtung, doch weder sie noch er machten Anstalten, einander zu begrüßen. Stattdessen breitete Balthasar die Arme aus, als Rita auf ihn zugelaufen kam und ihm um den Hals fiel.
»Ich wusste es!«, rief sie atemlos. »Ich wusste, dass du uns nicht im Stich lässt und dass du nur fortgeritten bist, um Hilfe zu holen!«
Emilia zog die Stirn in Falten. Bis vor wenigen Augenblicken hätte sie nicht geglaubt, dass Rita jemals wieder freiwillig einen Mann umarmen würde, doch nun legten sich ihre zarten Hände ganz selbstverständlich um Balthasars Nacken. »Nicht wahr, Emilia, wir beide wussten es?«
Emilia kämpfte um ein höfliches Lächeln, aber es geriet frostig. Nun endlich gab Arthur doch seine Distanz auf und kam leise auf sie zugeschritten.
»Was ist schlimmer?«, setzte er angelegentlich an. »Mich wiederzusehen oder die Schaffarm zu verlieren? Ich wette, du hättest Letzteres auf dich genommen, um Ersteres zu vermeiden.«
Sie stemmte ihre Hände in die Hüften. Trotz der Dunkelheit entging ihr der harte Zug um seinen Mund nicht. Kerben furchten sein Gesicht, die es früher nicht gegeben hatte. Er schien älter, erwachsener: Das blonde Haar war von Sonne und Wind noch mehr gebleicht worden, wirkte jedoch nicht mehr lockig-weich, sondern hart wie Stroh; seine Haut war rauh und tiefbraun. In den blauen Augen lag nicht mehr diese Mischung aus Koketterie, Selbstherrlichkeit und einer Spur Naivität, sondern Nachdenklichkeit.
Er trotzte ihrem Blick, und kurz fragte sie sich, was er seinerseits wahrnahm und ob sie sich ebenso stark verändert hatte. Die Zeit, die seit ihrer letzten Begegnung – ganze sechs Jahre – vergangen war, erschien ihr plötzlich wie eine Ewigkeit. Zwar waren die einzelnen Stunden wie im Flug vergangen, aber aneinandergereiht ergaben sie eine schier endlose Kette, die das Leben, das davor lag, verblassen ließ und die sie vielleicht zu einer verhärmten, hässlichen Frau gemacht hatten. Ihre Gedanken waren stets um die Arbeit gekreist, nicht um die eigene Schönheit, doch unter seinem prüfenden Blick konnte sie nicht anders, als sich ängstlich zu fragen, ob die Blüte ihrer Jugend längst vorbei war. Unwillkürlich griff sie sich ans Gesicht. Ihre Haut fühlte sich glatt an, noch nicht von Runzeln übersät. Ihre Haare hatten sich aus ihrem Knoten gelöst und fielen borstig wie eh und je über ihre Schultern. Ihre Gestalt war gewiss noch sehniger und muskulöser geworden, aber immerhin waren ihre Brüste noch groß und weich.
»Was ist?«, fragte er knurrend. »Hat es dir die Sprache verschlagen, weil du mich wiedersiehst?«
»Rede keinen Unsinn!«, bellte sie. »Und natürlich ertrage ich lieber deinen Anblick, als die Estancia zu verlieren.«
Er öffnete den Mund, doch das, was er sagen wollte, ging im Stimmengewirr unter. Eben kam Don Andrea ins Freie geeilt, fiel zu Boden und dankte Gott für die wundersame Rettung. Aurelia folgte ihm und versuchte, tapfer zu lächeln, obwohl ihr Gesicht tränenüberströmt war. Als Balthasar sie erst auf den Arm nahm und später in die Luft warf, war der Schrecken allerdings schnell vergessen, und sie kreischte freudig auf. Rita dagegen fragte angstvoll, ob sein Bein unter dem Gewicht nicht schmerzen würde. Als Letzter erschien Maril im Hauseingang, und Pedro, der eben noch dröhnend damit geprahlt hatte, wie er all diese Mistkerle verjagt hatte, kam ins Stocken und fragte mit zusammengekniffenen Augen, wer diese Rothaut sei. Rita und Ana fielen sich gegenseitig ins Wort, als sie es ihm erklärten, während Maril selbst
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