Jenseits von Feuerland: Roman
knapp, »nein, ich weiß nichts Genaues.«
Sie wusste, dass er es nicht mit Absicht getan hatte – doch ungewollt hatte Balthasar mit seiner Frage nicht nur an die Zeit gerührt, da Arthur und Emilia über irgendetwas in Streit geraten waren, sondern auch an die Zeit, da ihr eigenes Leben in einer dunklen Wolke festzustecken schien ohne Aussicht auf Glück oder wenigstens simple Zufriedenheit.
Ein Ruck ging durch Ritas Körper, als könnte sie die Erinnerungen mit einem Schulterzucken abschütteln, dann betrat sie das Haupthaus. Aurelia hatte sie vorhin schon ins Bett gebracht, Pedro lag schnarchend auf einer Bank in der Wohnstube. Von Maril war weit und breit nichts zu sehen.
Noch heute Morgen hatte sie Ana danach gefragt, ob der Tehuelche nun länger auf der Estancia bleiben oder nach Überlebenden seines Stammes suchen würde, aber die hatte sie nur fragend angesehen. »Was habe ich mit seinen Plänen zu schaffen?«, hatte sie so verständnislos geantwortet, als wäre nicht sie es gewesen, die ihn heimlich versteckt und seine Wunde verpflegt hatte, sondern jemand anderes. Don Andrea hatte sich erstmals seit langem wieder zu seiner Mission begeben, um endlich in seinem eigenen Bett zu schlafen.
Auch Rita überlegte, schlafen zu gehen, doch dann sah sie, dass Balthasar, der am großen Esstisch Platz genommen hatte, seinen Notizblock nahm und zu zeichnen anfing, und sie beugte sich neugierig über seine Schultern. Abermals musste sie kichern, als sie das Motiv erkannte. Das Bild zeigte, wie Emilia und Arthur miteinander stritten, nur, dass beider Zorn viel übertriebener dargestellt war, als er in Wirklichkeit ausfiel: Emilias Stirnrunzeln waren so tief, als wäre ihr Kopf gespalten, und Arthur blickte so empört, als würden seine Augen aus den Höhlen quellen. Doch gerade wegen dieser Übertreibung vermeinte Rita, förmlich die Spannung zu spüren, die stets zwischen den beiden lag, diese unbändige Energie und Kraft, die sanfteren Gemütern beinahe Angst machte. Es fehlte nur noch, dass Funken sprühten und Flammen aufloderten.
»Du hast es wunderbar getroffen!«, rief sie begeistert. »Du kannst so gut zeichnen.«
Balthasar winkte ab. »Ach was. Jeder hat seine Talente und macht das Beste daraus. Du selbst kannst wunderbar weben.«
Verlegen zuckte sie die Schultern und wollte nicht darauf eingehen. »Du zeichnest eigentlich immer mit einem Kohlestift. Hast du auch schon mal mit Farben gemalt?«
»Früher in Hamburg«, antwortete er. »Aber ich bin gerne unabhängig. Block und Kohlestift kann ich überall hin mitnehmen – bei Ölfarben und Leinwänden ist das schon schwieriger.«
Rita setzte sich neben ihn auf die Bank. So ins Bild vertieft, bemerkte sie kaum, dass ihre Schultern seine streiften, doch rasch brachte sie wieder ausreichend Distanz zwischen ihnen.
»Maril hat mir erzählt, dass sein Stamm die Wolle mit vielen verschiedenen Farben färbt. Farben, die sie aus Erde herstellen oder aus seltenen Pflanzen.«
Balthasar blickte sie mit warmem Lächeln an. »Du klingst ganz so, als würdest du es auch gerne einmal probieren.«
Erneut zuckte sie die Schultern und gab Gleichmut vor.
»Hast du früher …«, setzte er an, »hast du früher in deiner Kindheit auch Wolle oder Stoffe gefärbt?«
Wie vorhin, da er von der Vergangenheit geredet hatte, versteinerte ihre Miene. Sie wusste, dass sie vor Balthasar nicht auf der Hut sein musste: Es gab viel zu wenig, was sie vor ihm verbergen könnte, weil er ohnehin fast alles erahnen konnte, dennoch war es ihr unerträglich, dass er an ihrer Herkunft rührte.
»Ich will nicht darüber reden«, sagte sie kurz angebunden und fragte sich zugleich beschämt, ob er sie wohl für launenhaft halten würde. In einem Augenblick konnte sie herzhaft lachen, im nächsten erstarrte sie.
Doch ihn schien das nicht zu stören. Sein Blick wurde eher mitleidig.
»Wer du bist, Rita, und woher du kommst, ist nichts, dessen du dich schämen sollst«, sagte er eindringlich.
»Ach ja?«, fuhr sie auf. Plötzlich hatte sie die höhnische Stimme ganz deutlich im Ohr – Jerónimos Stimme. Wie er sie damals vor vielen Jahren beschimpft hatte. Und erst vor wenigen Tagen wieder. »Du hast doch gehört, wie sie … wie sie …«, unmöglich konnte sie seinen Namen aussprechen, »nun, du hast doch gehört, wie sie mich nannten. Eine Rothaut! Eine Indianerhure!«
Ihre Lippen bebten.
Er senkte seinen Blick, schwieg eine Weile. »Mir ist es völlig egal, wie Jerónimo und
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