Jenseits von Feuerland: Roman
unvermittelt durch den Kopf, was für eine unglaublich schöne Frau sie war. Beim letzten Mal hatten ihre Züge noch etwas Rundlich-Kindliches gehabt. Nun waren sie härter geworden, aber auch ebenmäßiger. Ihre blonden Haare waren länger gewachsen, reichten ihr bis zu den Hüften, ein Meer an Locken, das Zöpfe und Bänder kaum zu bändigen wussten. Manch Strohhalm und Ästchen hatten sich in die Fluten dieses Haars verirrt und riefen in ihm das Verlangen hervor, darüber zu streichen und es sachte zu entwirren.
»Es hätte gereicht, wenn Pedro mit seinen Männern gekommen wäre«, sagte sie stur. »Dich hätten wir nicht unbedingt gebraucht.«
»Das heißt, ich soll wieder gehen?«, fragte er gedehnt.
Genauso wie ich damals gehen musste, fügte er innerlich hinzu, aber er sprach es nicht aus.
»Balthasar ist unser Gast – du bist es auch«, erwiderte sie frostig. »Aber stör mich nicht beim Arbeiten.«
Sie wandte sich ab, beachtete ihn nicht länger – und zwang ihn damit zur Untätigkeit. Zwar ließ er es sich nicht nehmen, doch den einen oder anderen Zaunpfosten zurechtzuschlagen und in die Erde zu rammen oder beim Aufbau der Scheunen zu helfen, doch sobald Emilia in der Nähe war, ließ er die Arbeit mit trotzigem Gesichtsausdruck ruhen, verschränkte seine Arme und starrte reglos in die Weite.
So hatte er in den nächsten Tagen viel Zeit, nicht nur über sich nachzudenken, sondern auch über Balthasar, der sich hier sichtlich wohl zu fühlen schien. Ihre Wege hatten sich in den letzten Jahren immer wieder gekreuzt, doch ebenso oft getrennt – anfangs, weil Balthasar auf manch beschwerliche Reise von Arthur nicht mitkommen konnte, später, weil es ihn in andere Regionen zog als die heißen, trockenen des Nordens. Dass Arthurs verstorbener Vater Balthasar in seinem Testament bedacht hatte, gab ihm die Freiheit, selbst über die nächsten Schritte zu entscheiden, und obwohl Arthur sie ihm von Herzen gönnte, vermisste er doch den Freund, der wie ein steter Schatten einfach zu seinem Leben gehört hatte und immer da gewesen war, wenn er ihn brauchte. Allerdings war er in den letzten Jahren kaum mehr betrunken gewesen, so dass niemand seinen Kopf halten musste, wenn er sich in den Straßengraben übergab.
Was ihn stets etwas befremdet hatte, war Balthasars Begeisterung für die Natur, insbesondere die karge Landschaft Patagoniens. Wenn er davon sprach, konnte man meinen, es gebe kein schöneres Fleckchen auf der Erde, höchstens Feuerland, das zu erforschen ein unmöglicher Traum für Balthasar war, doch während Arthur nun mit dem steten Wind kämpfte und den einen oder anderen Spaziergang in der Einöde machte, begriff er nicht, was daran besonders sehenswert war. Nun gut, auch er lernte gerne Neues kennen, und angenehmer als in der Hitze der Atacama-Wüste war es hier bestimmt zu leben. Dennoch: Nach den ersten beiden Tagen hatte er sich an der kargen Landschaft abgesehen.
Er erwartete, dass nun seine übliche Unrast erwachte, und war erstaunt, dass ihn eher Trägheit übermannte als der Wunsch, rasch wieder aufzubrechen. So blieb er weitere Tage, die ebenso langweilig wie eintönig waren, ohne eine rechte Erklärung zu finden, warum er das tat.
Als die erste Woche zur Neige ging, waren immer noch alle Bewohner der Estancia zu sehr damit beschäftigt, die Schäden des Überfalls zu reparieren, als dass sie viele Worte machten. Anstatt sich mit ihm zu unterhalten, wie er es jedes Mal aufs Neue wünschte, waren sie am Abend zu müde und gingen früh ins Bett, und so musste er sich mit den zweien begnügen, die als Einzige Zeit für ihn hatten – unter anderem die kleine Aurelia, die ihn lange danach befragte, woher er käme und was er mache, und die insbesondere aufgeregt seinen Schilderungen von seinen Reisen über die Anden neugierig lauschte. Wenn er ausufernd die vielen Gefahren beschwor, die er dann zu meistern gehabt hätte, traf ihn mehrmals Emilias Blick – so skeptisch, als würde er Lügengeschichten erzählen. Er ärgerte sich insgeheim darüber, gab sich jedoch gleichmütig.
Der andere, der über seine Gesellschaft froh zu sein schien, war Don Andrea. Eigentlich interessierte es Arthur mitnichten, was diesen Missionar hierhertrieb und was er eigentlich den lieben Tag lang tat, aber in Emilias Nähe vertiefte er sich nur allzu gerne in Gespräche und gab sich wissbegierig.
Er merkte sich immer nur die Hälfte dessen, was Don Andrea erzählte – und wusste am Ende doch eine Menge
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